Offener Brief an Menschenrechtsorganisationen

SOLIKOMITEE FÜR SONJA UND CHRISTIAN
c/o Café Exzess, Leipziger Straße 91, 60487 Frankfurt am Main,
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OFFENER BRIEF

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Freundinnen,

wir bitten Sie in diesem offenen Brief, dem Prozess gegen Sonja Suder (79) und Christan Gauger (71) ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Er hat am 21. September 2012 vor dem Landgericht in Frankfurt am Main begonnen. Beiden wird vorgeworfen, vor 35 Jahren an Anschlägen der Revolutionären Zellen (RZ) beteiligt gewesen zu sein. Sonja Suder soll darüber hinaus logistische Unterstützung bei dem Überfall auf die OPEC-Konferenz im Jahre 1975 geleistet haben.

Sie wurden seit 1978 von der Polizei gesucht, im Jahr 2000 in Frankreich verhaftet und nach elf Jahren auf der Grundlage eines europäischen Haftbefehls an die Bundesrepublik ausgeliefert. Seit September 2011 sitzt Sonja Suder in Untersuchungshaft, Christian Gauger ist wegen einer schweren Erkrankung von der Haft verschont.

Die Anklage gegen die beiden beruht auf „Beweisen“, von denen jetzt schon klar ist, dass sie einer ernsthaften Überprüfung nicht standhalten: Aussagen, die unter Ausnutzung einer Traumatisierung zustande gekommen sind und eines Kronzeugen, der schon in anderen Prozessen der Falschaussage überführt wurde. Mehr gibt es nicht. Hermann F. war 1978 schwer verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert worden, beide Beine mussten amputiert, seine Augen entfernt werden. Ein Sprengsatz war auf seinem Schoß explodiert, der beim Konsulat des Folterlandes Argentinien deponiert werden sollte. In Argentinien wurde 1978 – trotz blutiger Militärdiktatur – die Fußballweltmeisterschaft ausgetragen. Die Ermittler nutzen Hermann F.s traumatisierten und orientierungslosen Zustand für illegale Verhöre. Dies geschah in einer Weise, die sich von Folter nur dadurch unterscheidet, dass sie den Zustand nicht selbst herbeigeführt hatten. Ohne Haftbefehl wurde Hermann F. von allen Vertrauenspersonen abgeschottet, auch seinem Vertrauensanwalt wurde jeder Kontakt verwehrt. Nach wochenlangem Krankenhausaufenthalt wurden die Vernehmungen in Polizeikasernen fortgesetzt. So wurden in drei Monaten auf 1.200 Seiten angebliche Aussagen von Hermann F. festgehalten, bis endlich sein Anwalt über ein gerichtliches Verfahren seinen Zutritt erreichen konnte.

Schon vor Beginn des Prozesses gegen Sonja und Christian hat das Gericht keinen Zweifel daran gelassen, dass diese polizeiliche Textsammlung eine Verurteilung stützen soll. Will die Vorsitzende Richterin Stock damit einen weiteren Schritt machen um durch Folter erlangte Aussagen zu legitimieren? Denn Frau Stock ließ den Vizepolizeichef von Frankfurt wegen dessen Folterandrohung in einer Vernehmung mit der denkbar geringsten Strafe davon kommen, was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gerügt hat. Ob das Gericht darauf setzt, dass die Öffentlichkeit sich daran gewöhnen soll, zumindest ein „bisschen“ Folter für zulässig zu halten, bleibt abzuwarten. Es würde damit ein eindeutiges Merkmal des Ausnahmezustands legitimieren. Der neue Chef des Bundesverfassungs(!)schutzes findet Guantanamo ja nicht so schlecht. Insofern ist es kein Prozess um die Vergangenheit, sondern ein Verfahren, das richtungsweisend für die Zukunft sein kann.

Auch im Komplex des OPEC-Überfalls wartet das Gericht nicht auf Zeugen und Sachverständige, es hat schon vor der Verhandlung überraschende Klarheit gewonnen. Hans-Joachim Klein, der bei dem Überfall selbst geschossen hat und damals schwer verletzt wurde, ist der einzige „Beweis“ gegen Sonja Suder. Klein hatte panische Angst, in den Knast zu kommen. Als er dann 1998 gefasst wurde, bot er sich als Kronzeuge an und belastete u.a. Sonja Suder. In seinem damaligen Prozess hat er diese Aussage an einem Tag widerrufen, dann wieder aufrecht erhalten. Weil er letztlich bei der Belastung blieb, bekam er in der Verhandlung vor 10 Jahren und bei einem anderen Gericht in Frankfurt nicht das sichere Lebenslänglich, sondern neun Jahre, von denen er die Hälfte absitzen musste. Sein Mitangeklagter Sch. wurde freigesprochen, weil Klein Falschaussagen nachgewiesen wurden. Für die Kammer unter Vorsitz von Frau Stock steht die Glaubwürdigkeit von Klein trotzdem außer Zweifel, wie sie in einem Beschluss wissen ließ.

Beides geht nicht, die Ausnutzung der Qualen eines Verletzten und die Berufung auf einen Kronzeugen gegen alle angesammelten Zweifel schon vor dem Verfahren.

Wir bitten Sie um Ihre Aufmerksamkeit nicht nur im Interesse der beiden Angeklagten. Es geht auch darum, ob wir in einem Land leben wollen, in dem der in seine Rechtsprinzipien eingelagerte Schutz des Einzelnen nichts mehr gilt. Verfolgen Sie diesen Prozess, erörtern Sie ihn mit Ihren Freund_innen und Kolleg_innen und verleihen Sie Ihrem Interesse durch Anfragen an die Justiz und die Teilnahme an Verhandlungen Ausdruck.

Mit freundlichen Grüßen,

Solikomitee für Sonja und Christian

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