Zu Beginn des heutigen Prozesstages wies die Vorsitzende Richterin Stock durch Beschluss einen Antrag des Rechtsanwalt Bremer ab, der gefordert hatte, ein psychologisches Gutachten über Hermann F. vom Dezember 2012 in der Verhandlung zu verlesen. Grund für die Ablehnung: Die Kammer habe das Gutachten bereits zur Kenntnis genommen. Anschließend stellte Rechtsanwältin Verleih einen Antrag. Dabei ging sie zunächst auf ein Urteil vom OLG aus dem Jahre 1982 ein, in dem das OLG die Vernehmungsfähigkeit Hermanns unmittelbar nach dem Unfall und der Operation konstatierte.
Zu dieser Einschätzung gelang das Gericht damals maßgeblich aufgrund von verschiedenen Gutachtern und Zeugenvernehmungen, etwa der des Ermittlungsrichters Kuhn, der aussagte, Hermann sei bei den Vernehmungen während der Unterbringung in der Polizeikaserne in Oldenburg „klar im Kopf“ gewesen und habe einen geordneten Eindruck gemacht.
Anschließend zitierte Rechtsanwältin Verleih aus dem bereits erwähnten
psychologischen Gutachten vom Dezember 2012, in dem das damalige Verhalten von Hermann als Folge einer psychischen Dissoziation gewertet wurde.
Eindrücklich bewies das Gutachten, dass das vermeintlich „normale“ und
„abgeklärte“ Verhalten von Hermann vielmehr so interpretiert werden müsse, dass die psychische Dauerbelastung in Folge des Unfalls und der Isolation sich in der rationalen Konzentration auf das bloße Funktionieren zum eigenen psychischen und physischen Überleben artikulierte und insofern die Willensfreiheit von Hermann massiv eingeschränkt gewesen sei.
Verleih führte weiter aus, dass das Wissenschaftsgebiet im Bereich der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und der Traumatologie zu diesem Zeitpunkt noch nicht existierte und die damaligen Sachverständigen deshalb Hermanns Verhalten nicht als Dissoziation und PTBS hatten erkennen können.
Sie forderte deshalb (erneut) die Einholung aktuellerer Gutachten von
Experten aus dem Bereich der Traumatologie. Die Staatsanwaltschaft
forderte, den Antrag abzulehnen, weil der Antrag bzw. das aufgeführte
Gutachten keine neuen Erkenntnisse gebracht hätten.
Nach einer kurzen Pause schloss sich das Gericht wenig überraschend der Einschätzung der Staatsanwaltschaft an und wies den Antrag der Verteidigung mit der aberwitzigen und realitätsfernen Bemerkung zurück, es lägen doch vier Gutachten aus dem Jahre 1981 und eines aus dem Jahre 1979 vor. Außerdem sehe der Gutachter Dr. Haag, der vor einigen Wochen als Zeuge geladen war, keine Anzeichen einer PTBS.
Anschließend erging der Beschluss, dass Hermann nicht mehr als Zeuge
geladen werden könne, da sich nicht ausschließen ließe, dass sich sein
Gesundheitszustand im Falle einer erzwungenen Aussage vor Gericht nicht ernstlich verschlechtern würde. Maßgeblich entscheidend für diese Einschätzung waren die zwei Stellungnahmen von Heidelberger Ärzten, die Hermanns Anwalt in der vorletzten Sitzung mitgebracht hatte und in denen bei Hermann eine „sonstige andauernde Persönlichkeitsveränderung“ diagnostiziert wurde. Zugleich beinhaltete der Beschluss aber auch die Einführung der Vernehmungsprotokolle in die Hauptverhandlung.
Als die Vorsitzende Richterin Stock mit der Verlesung beginnen wollte,
intervenierte Rechtsanwältin Verleih. Sie widersprach sowohl Einführung als auch Verwertung der damaligen Aussagen. Sie bezog sich dabei auf die in der Strafprozessorndung geregelten Nichtigkeit von Aussagen, die durch verbotene Verhörmethoden zustande gekommen sind. Verleih führte aus, dass zwar Hermann möglicherweise mehrere Monate nach dem Unfall vernehmungsfähig gewesen sein könnte, dass allerdings diese Aussagen unabhängig und ohne Bezug auf jene Aussagen, die durch illegale Verhörmethoden gewonnen wurden, hätten gemacht werden müssen.
Das bedeutet, dass dem Beschuldigten vor einem erneuten Verhör die Unverwertbarkeit seiner bisherigen Aussagen klar vermittelt werden muss, da er ansonsten zu der Vorstellung neigen könnte, dass ein Schweigen nach einem bereits abgelegten Geständnis sowieso sinnlos sei. In einem solchen Fall könne von einer Fortwirkung der verbotenen Verhörmethoden gesprochen werden. Angesichts der Aktenlage vermisse Verleih aber eine in der Situation gebotene „qualitative Belehrung“, weshalb auch die späteren Aussagen auf unzulässige Weise gewonnen worden seien.
Die Staatsanwaltschaft mochte keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine solche Fortwirkung erkennen, sodass das Gericht in seinem Beschluss den Widerspruch zurückwies und erklärte, die abschließende Entscheidung über die Verwertung der Aussagen könne erst nach deren Verlesung getroffen werden.
Als die Vorsitzende Richterin Stock dann mit der Verlesung beginnen
wollte, gab es einen wütenden Zwischenruf aus dem Publikum, der die
faktische Folterlegitimierung des Gerichts kritisierte. Staatsanwalt
Rauchhaus grinste dämlich, Stock faselte irgendwas von Ordnungsgeld und die Person wurde von zwei Wachtmeistern gepackt und unsanft aus dem Gerichtssaal verbracht. Der Inhalt der daraufhin folgenden und rund zwei Stunden dauernden Verlesung der Vernehmungsprotokolle von Anfang Oktober 1978 soll an dieser Stelle erspart werden.
Der geplante Termin am 20.8. fällt aus, weiter geht es am 23.8. mit der Vernehmung des französischen Bullen. An den darauf folgenden Prozesstagen ist weiterhin mit der Verlesung der unter folterähnlichen Zuständen gewonnenen Aussagen zu rechnen.