Gericht nutzt unter Folter zustande gekommene Aussagen, um gegen ehemalige Mitglieder der »Revolutionären Zellen« vorzugehen. Zeugin droht Beugehaft. Ein Gespräch mit Anne Dietz
Interview: Markus Bernhardt
Artikel als PDF: jw-2013-01-07-15
Bereits seit September 2012 läuft in Frankfurt am Main der Prozeß gegen Sonja Suder und Christian Gauger. Ihnen wird vorgeworfen, in den 1970er Jahren an mehreren Anschlägen der Stadtguerilla »Revolutionäre Zellen« (RZ) beteiligt gewesen zu sein. Wie steht es um den aktuellen Gesundheitszustand der mittlerweile verhältnismäßig betagten linken Aktivisten?
Christian ist aufgrund seiner Krankheit haftverschont und nur eingeschränkt verhandlungsfähig, so daß die Hauptverhandlung immer nach eineinhalb Stunden unterbrochen werden muß, damit er sich erholen kann. Sonja geht es den Umständen entsprechend gut, gleichwohl werden einige altersbedingte Behandlungen in der U-Haft nicht durchgeführt.
Trotz ihres Alters von 79 Jahren befindet sich Sonja Suder noch immer in Haft. Mit welcher Begründung?
Nicht trotz, sondern wegen ihres Alters bleibt Sonja weiterhin in Haft. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt lehnt die Haftentlassung mit der zynischen Begründung ab, daß Sonja »aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters besonders haftempfindlich« sei. Schließlich drohe ihr nach einer Verurteilung, daß sie ihr restliches Leben in Haft zu verbringen habe. Die Justiz will Sonja und Christian offensichtlich dazu zwingen, klein beizugeben und ihre linke Geschichte zu verleugnen.
Dabei stützt sich die Anklage auf Zeugenaussagen, die unter folterähnlichen Umständen zustande gekommen sind, und solche, die selbst von Teilen der Justiz in der Vergangenheit für unglaubwürdig befunden wurden …
Das sind die Fakten, ja. In diesem Prozeß sollen Äußerungen benutzt werden, die zustande kamen, indem Polizei und Staatsanwaltschaft den schwerstverletzten Hermann Feiling über Monate isolierten, bedrohten und ausfragten. Eine Bombe, aus Protest gegen die blutige Militärdiktatur in Argentinien, explodierte ihm 1978 frühzeitig auf seinem Schoß. Er überlebte den Unfall, aber es mußten ihm sofort beide Beine amputiert werden. Außerdem verlor er beide Augen. Obwohl Hermann Feiling offensichtlich schwer traumatisiert war und noch ums Überleben kämpfte, begannen Verhöre. Hermann widerrief später, was er den Polizisten, die er für Pfleger hielt, anvertraut hatte. Trotzdem wurden in späteren Prozessen aufgrund dieser erpressten Aussagen vier Genossinnen und Genossen verurteilt. Auch die Richter, die aktuell über Sonja und Christian zu Gericht sitzen, bedienen sich dieser Äußerungen.
Einen Antrag der Verteidigung, erstmals ein traumatologisches Gutachten zu erstellen, ignoriert das Gericht bisher. Es beruft sich statt dessen auf alte medizinische Gutachten von vor dreißig Jahren. Das Gericht führt zudem Aussagen und Protokolle von sogenannten Sachverständigen, Richtern und Polizisten ein, die an diesem Justizskandal beteiligt waren. Zynischer geht es kaum. Hermann Feiling wird dort unterstellt, es sei ihm damals ein wirkliches Bedürfnis gewesen, endlich einmal so richtig auszupacken. Dabei hat er diesen Skandal immer beim Namen genannt und konstatiert, daß »diese angeblichen Vernehmungsprotokolle« für ihn »das Ergebnis einer Behandlung, die den Namen Folter verdient« seien. Er halte es daher »für aberwitzig, Angaben daraus zu verwenden«.
Die Anklage beruht außerdem auf den Beschuldigungen eines Kronzeugen. Der Wahrheitsgehalt dieser Aussagen ist dabei grundsätzlich zweifelhaft, da der Verräter Informationen liefern muß, um eine Strafverringerung zu erreichen. Hans-Joachim Kleins Unglaubwürdigkeit ist übrigens von einer anderen Kammer des Frankfurter Landgerichts längst festgestellt worden.
Die Justiz in Frankfurt am Main ist offenbar fest entschlossen, nicht nur gegen Suder und Gauger vorzugehen. So wird aktuell eine Zeugin sogar mit Beugehaft bedroht. Warum?
Im Prozeß wurde bereits deutlich, daß die Vorsitzende der Kammer, Bärbel Stock, Sonja und Christian unter allen Umständen verurteilen will. Dies wird auch demonstriert im Umgang mit einer Zeugin, die 1980 aufgrund von Belastungen Hermann Feilings verurteilt wurde. Weil sie die Aussage verweigert, um gegen die damalige Foltersituation und die Verwendung der verbotenen Vernehmungsprotokolle zu protestieren, versucht Richterin Stock mit der Verhängung eines Ordnungsgeldes und der Androhung von Beugehaft, ihr Schweigen zu brechen.
Auch die Prozeßbeobachter sind Schikanen ausgesetzt …
Erhebt sich das Publikum nicht beim Eintreten des Gerichts, drohen Ordnungsgeld oder ersatzweise zwei Tage Haft; Ausweiskontrollen sind ebenso wie gründliche körperliche Durchsuchungen gängig. Die Richterin reagiert damit auf den Protest der Besucherinnen und Besucher im Saal gegen die skandalöse Prozeßführung.
Das gesamte Verfahren erinnert an eine Reise in die längst vergessene Zeit der Prozesse gegen Angehörige von Stadtguerillagruppen in den 1980er und 1990er Jahren. Hat sich irgendetwas an dem gegen die politische Linke gerichteten Geist und Verfolgungseifer der Behörden geändert?
Gegen die militante Linke wurde seit 1970 der gesamte Polizei- und Justizapparat umgebaut. Nichts wurde davon zurückgenommen. Im Gegenteil, alle Sondergesetze, die zur polizeilichen und geheimdienstlichen Bekämpfung eingeführt wurden, sind weiter in Kraft. Nach wie vor ist die revolutionäre Linke der Hauptfeind dieses Staates. Das ist in allen Maßnahmen und Vorstößen fest eingeschrieben und drückt sich auch aktuell in diesem Prozeß aus. So etwa an Personen, auf deren Berichte das Gericht zurückgreift, wie dem inzwischen verstorbenen Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs Horst Kuhn. Mit seinem Namen ist die jahrzehntelange Sonderhaft verbunden, so das »24-Punkte-Haftstatut«, in dem detailliert die Isolationsfolter exekutiert wird.
Bis 1989 war er für fast alle Verfahren und Ermittlungen wegen der Paragraphen 129 und 129a, also »Bildung krimineller bzw. terroristischer Vereinigungen«, zuständig. Auch ließ er etwa Gefangene für eine »Gegenüberstellung« in Ketten gewaltsam rasieren, frisieren und umkleiden, um sie »wiedererkennbar« zu machen.
Sie haben sich mit einem offenen Brief an verschiedene Menschenrechtsorganisationen gewandt und gebeten, das Verfahren gegen Sonja Suder und Christian Gauger zu beobachten. Gab es Reaktionen?
In Frankreich überlegt die »Ligue des droits de l’Homme«, eine Untersuchungskommission zum Prozeß in Frankfurt einzurichten. Die Organisationen hierzulande hüllen sich bisher in Schweigen. Doch sollten Sonja und Christian aufgrund der unter folterähnlichen Umständen erlangten Aussagen verurteilt werden, wird dies weitreichende Folgen haben und zu einer weiteren Aufweichung des Folterverbots beitragen. Deshalb müssen sich Bürgerrechts-organisationen öffentlich klar dagegen positionieren.
Die Vorsitzende Richterin des Frankfurter Landgerichts ist in diesem Kontext keine Unbekannte: Unter Bärbel Stock fiel 2004 das Urteil im sogenannten Daschner-Prozeß im Entführungsfall Jakob von Metzler. Der damalige stellvertretende Frankfurter Polizeipräsident Daschner hatte dem Kindesentführer Magnus Gäfgen nach der Festnahme mit Gewaltanwendung gedroht, um den Aufenthaltsort des entführten – und bereits toten – Kindes zu erpressen. Er kam mit einer Geldstrafe zur Bewährung davon, womit das Gericht sogar unter der Forderung der Staatsanwaltschaft blieb. Auf das Urteil reagierte der Europäische Gerichtshof zu Recht mit einer Rüge.
Neben den Bürgerrechtsorganisationen scheint sich auch die Solidarität der Linken in Grenzen zu halten. Dabei existierte in den 70er und 80er Jahren eine starke Sympathisantenszene für die »Revolutionären Zellen«, die »Bewegung 2. Juni« und die »Rote Armee Fraktion« (RAF).
Wir sind da optimistischer. Natürlich wünschen wir uns als Solikomitee breitere und intensivere Unterstützung. Aber es sollte nicht die Schwierigkeit verkannt werden, die heutige Aktivistinnen und Aktivisten zwangsläufig haben, nämlich Bezüge zu Genossen aus zurückliegenden Kämpfen herzustellen. Wie präsent sind die Diskussionen und Schlußfolgerungen? Wer bezieht sich wie darauf? Selten gibt es eine aktive Verbindungslinie. Auch sollte das »früher« nicht verklärt werden: Auch da war Solidarität mit Gefangenen aus der militanten Linken nicht selbstverständlich: Wie viele Aktionen und Hungerstreiks waren notwendig, bis der Kampf gegen Isolationshaft und Hochsicherheitstrakte eine breitere Unterstützung bekam?