Stochern in keiner Erinnerung – Bericht vom 28.12.2012

Immer noch kommt nur in das Gericht rein, wer in Kauf nimmt seine Daten für die Dauer der Verhandlung abzugeben und – jetzt neu – mit der richterlichen Ergänzung der vorherigen Verfügung, seinen Ausweis kopieren zu lassen, und immer noch wissen die Wachdienstschiebenden diese Maßnahme nicht anders zu begründen als mit einem an die Wand gepinnten Schreiben von Richterin Stock. Auch an der Praxis der zwei Zivilen der Polizei im Zuschauerraum wird festgehalten.

Am heutigen Prozesstag wurde der Zeuge Müller (69; 1. Kriminalhauptkommissar BKA Meckenheim, Abt. Terrorismus, im Ruhestand) vorgeladen. Müller war im Herbst 1977, nach dem Anschlag auf MAN Nürnberg (22.08.1977), als Ermittler des BKA tätig, wurde aber am 5.09.1977 – dem Tag der Entführung Hans Martin Schleyers – wieder abgezogen und übergab den Fall wieder auf Anordnung der Generalbundesanwaltschaft an das LKA Bayern. Müller ermittelte am Tatort und kümmerte sich um die Spurenauswertung, bekam aber aufgrund der kurzen Einsatzzeit die Ergebnisse der von ihm angeleierten kriminaltechnischen Untersuchungen nicht mehr zu Gesicht.

Wie bereits der Zeuge Mathis konnte auch Müller sich nur aufgrund seiner alten Berichte (die er für die Verhandlung beim BKA Meckenheim anfragte) an einige Dinge erinnern beziehungsweise von Richterin Stock erinnern lassen, alle über deren Inhalt hinausgehenden Fragen konnte er nicht beantworten. Entsprechend kamen mehrere Unklarheiten zustande:

Im Zuge der Befragung stellte sich heraus, dass auch Müller damals dem Pförtnerehepaar bei MAN Fotos von Frauen unter Terrorismusverdacht vorlegt hatte. Da Müller jedoch seinem Bericht keine Kopien der den Zeugen vorgelegten Fotos angehängt hatte, wie es sonst übliche Praxis war, konnte nicht geklärt werden, um welche Fotos es sich handelte.
Müller bezifferte den Schaden bei MAN in seinem Bericht auf 80.000 bis 100.000 DM, wusste jedoch nicht mehr, woher diese Zahl stammt. Die Verteidigung bezifferte den Schaden unter Berufung auf einen MAN-Mitarbeiter auf 34.000 DM.

Als Mitarbeiter der Abteilung Terrorismus war Müller auch mehrmals an der ‚Produktion der Aussagen’ Hermann Feilings (siehe: http://www.verdammtlangquer.org/folter-und-aussageerzwingung/) im Juli 1978 in der Heidelberger Uni-Klinik beteiligt und meinte zunächst, diese hätte nicht auf der Intensivstation stattgefunden. Die Verteidigung wusste jedoch einen damaligen Aktenvermerk Müllers vorzubringen, in dem es hieß, dass er und ein Kollege Feiling auf der Intensivstation befragt haben. Damit handelte er sich zurecht den Zuruf „Folterkomplize!“ aus dem Publikum ein, der von Richterin Stock unmittelbar mit der Androhung gewürdigt wurde, bei Wiederholung seien 100€ Strafe oder zwei Tage Ersatzhaft fällig.

Müller brachte eine bisher unbekannte „Arbeitsgemeinschaft Revolutionäre Zellen“ (AGRZ), die beim BKA angesiedelt war, ins Spiel, konnte aber nichts konkretes zu dem Zeitpunkt ihrer Gründung oder ihrer Arbeit sagen, lediglich zwei Namen von Mitarbeitern nennen.

Wie manipulationsfähig eine Befragung auf der Grundlage von alten Berichten ist, zeigte sich an einem Dokument, dass offensichtlich falsch auf 1947 datiert war. Richterin Stock gab die Deutung vor – es müsse sich wohl um einen Zahlendreher handeln und eigentlich 1974 heißen. Müller bestätigte das. Auf Nachfrage der Staatsanwältin, ob das Dokument nicht eher 1977 entstand, da 1974 eindeutig zu früh sei, bestätigte Müller auch das.

Die Fragen von Richterin und Verteidigung, ob es damals Untersuchungen gegeben hätte zur Anzeige gegen MAN durch einen Journalisten oder den Vorwürfen gegenüber MAN in den Bekennerschreiben, wusste Müller nicht zu beantworten.

Nach Beendigung der Befragung waren so mehr Fragen offen als geklärt. Im Anschluss wurden „Lichtbilder in Augenschein genommen“, die von einem gerichtlichen Institut für Medizin aufgenommen wurden und die Verletzungen Hermann Feilings dokumentierten. Hieraus ging jedoch nichts weiter hervor und die Sitzung wurde vorzeitig beendet.

Da der für den nächsten Prozesstag (04.01.) geladene Zeuge aus gesundheitlichen Gründen abgesagt hat, werden in der nächsten Sitzung ein Artikel aus der Zeitung „Revolutionärer Zorn“ und weitere Materialien verlesen.

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