Seit dem 21. September findet in Frankfurt/Main der Prozess gegen Sonja Suder und Christian Gauer statt. Innerhalb der Anklage sind die angeblich belastenen „Aussagen“ von Herrmann Feiling zentral. Um noch mal ein Blick auf die brutale Behandlung von Herrmann zu werfen, veröffentlichen wir an dieser Stelle den Text „Ermittlungsmethoden Skrupelloser Fahndungseifer“ der Initiative, die sich zum Prozess 1980 gebildet hatte. Außerdem kann die Dokumentation zu dem Prozess heruntergeladen werden.
Dokumentation zum Prozess gegen Herrmann, Sybille und Sylvia (1980): doku1980a.pdf (20.12 MB)
ERMITTLUNGSMETHODEN
Skrupelloser Fahndungseifer
HR 23/80
Am 25. Novermber beginnt vor dem Frankfurter Oberlandesgericht der Prozess gegen Hermann Feiling, Sybille S. und Syjvia H.. Hermann Feiling hatte beim Hantieren mit Sprengstoff in seiner Wohnung im Juni 1978 versehentlich eine Explosion ausgelöst, die ihn schwer verletzte. Er verlor beide Beine und das Augenlicht. Feiling und seine beiden Mitangeklagten werden beschuldigt, damals, zur Zeit der Fussballweltmeisterschaft, als Angehörige einer „Revolutionären Zelle“, einen Anschlag auf das argentinische Konsulat in München geplant zu haben, um damit gegen den faschistischen Terror in Argentinien und die Gleichgültigkeit der Fussballfans zu protestieren. Die Anklage lautet auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Verabredung zur versuchten Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, Vorbereitung eines Explosionsverbrechens. versuchte gemeinschaftliche Sachbeschädigung und Brandstiftung. Sie stützt sich fast ausschliesslich auf Aussagen, die Feiling während seines Krankenhausaufenthalts gemacht haben soll, und die mittlerweile einen Umfang von 1300 Seiten haben.
An argentinische Zustände erinnert allerdings die Art und Weise, wie diese angeblichen Aussagen gesammelt wurden. (Die HR berichtete darüber in den Nummern 8/78 und 9/78). Schon am Tage nach seiner Operation, als Feiling noch in Lebensgefahr schwebte, unter dem Schock der Bewusstwerdung seiner körperlichen Versehrungen und unter äusserst starkem, psychotonisch wirkendem Medikamenteneinfluss stand (Man hatte ihm vier Ampullen Dipidolor gespritzt, eines der stärksten gebräuchlichen Schmerzmittel) begannen Beamte des Staatsschutzes mit der Vernehmung. In einem Herrn Dressler hatten die Staatsschützer auch den geeigneten Arzt gefunden, der Feilings Vernehmungsfähigkeit „medizinisch, aber nicht juristisch“ (1) bescheinigte. Die folgenden viereinhalb Monate war Hermann Feiling praktisch ununterbrochen von Staatsschützern umgeben, die, Sicherheitsbeamte und Pfleger in einem, ihn umbetteten, ihm Orangen schälten und immer fleissig jede Äusserung Feilings mitschrieben. Um dabei ungestört zu sein, ergriffen die Staatsschützer von ihrem wehrlosen Objekt Besitz; sie schotteten Feiling systematisch von der Aussenwelt ab, liessen keinen Besuch zu und versuchten mit allen Mitteln zu verhindern, dass er sich einen Anwalt seines Vertrauens nahm .
Dabei gab es keinen Haftbefehl gegen Feiling, weshalb von den Staatsschützern abgewiesene Besucher sich auch an keinen Richter oder Staatsanwalt wenden konnten. Die Polizisten hatten nur die Aufgabe, Feilings Sicherheit zu gewährleisten und erklärten daher alles, was ihte vernehmende Betreuung htte stören können, für unzulässig.
Feilings Wahrnehmungsfahigkeit war damals nicht nur physich, sondern auch psychisch erheblich gestört. Den Leiter der Einleitungsbehörde für Disziplinarverfahren an der Univerität, Wechsung, der zu dieser Zeit auch mal auf der Bildfläche erschien, hielt er für einen Rechtsanwalt. Den StaatschUtzern war er total ausgeliefert, als wäre er einer Entführung zum Opfer gefallen. Heute kann er sich an die Zeit nach der Operation kaum noch erinnern. Auf Tonbandkassetten, die er später an die Öffentlichkeit schmuggelte, beschrieb er seine damalige Situation so: „Ich war also mehr so in einem Zustand, wo ich eigentlich gar nicht wusste, wer um mich war und das einzige, was ich wollte, darin bestand, nicht verlassen zu werden!“
Diese Lage versuchten die „Betreuer“ Feilings so zu nutzen, dass sie ihn umdrehen wollten: „Ich fühl mich tatsächlich ein wenig entmündigt; aber man hat auch irgendwie eine Situation geschaffen, in der ich mich eigentlich nicht traute, irgend etwas selbst noch zu wollen … Es ist für mich unmöglich irgendetwas ganz anderes zu sein. Dazu will man mich bringen, glaube ich jedenfalls, dass man da alle Register zieht, ich geh daran nicht -jetzt nicht – vollends kaputt, weil ich festgestellt habe, dass ich meine politischen Gedanken, meine persönliche Identität vielleicht wohl mal wieder finde.“
In dem Masse, wie er wieder zu sich fand und einen Willen haben konnte, begann Feiling seine Situation zu dämmern, und er wehrte sich. Zuerst wendete er sich an den Anwalt Stefan Baier.
Als Baier, von Feiling gerufen, in die Polizeischule Münster fuhr, wohin Feiling in der Zwischenzeit verbracht worden war, wurde ihm von dem Heidelberger Staatsschutzbeamten (dem heutigen Stadtrat) Berberich, der sich bei der „Vernehmung“, zur Freude seiner Vorgesetzten besonders eifrig zeigte, eine schriftliche Erklärung Feilings vorgehalten, dass sein Mandant ihn nicht zu sehen wünsche. Als Baier mit begründetem Misstrauen verlangte, diese Auskunft von seinem Mandanten mündlich zu erhalten, wurde ihm dies von Berberich verwehrt. Feiling zufolge hatten die Staatsschützer die Erklärung mit der Drohung erpresst, dass durch Baiers Auftreten Feilings Prothesenanpassung und seine geplante Überweisung in Gefahr sei, wie sie überhaupt in dem Masse, wie Feiling langsam sich zu wehren begann, unter Ausnutzung seiner Verletzungen und seiner Hilflosigkeit ihm mit der Gefährdung von Rehabilitierungsmassnahmen drohten:
„Jch bitte ..zu verfolgen, was mit mir geschieht. Wo ich hingebracht werde und so. (..) Ich bin voll unter deren Fittichen. Die haben also nur ein paar Konzessionen gemacht, dass ich also diese Massnahme da behalte, also die Krankenhaustherapie für die prothetische Versorgung.“
Schliesslich gelang es Hermann Feiling, Bandkassetten an die Öffentlichkeit zu schmuggeln, auf denen er seine Situation beschrieb und zu seinen angeblichen Aussagen Stllung nahm: „Diese Aussagen stammen aus einer Situation kurz nach der Operation. Ich kann mich weder daran erinnern, noch kann ich sagen, dass sie so, wie sie mir dann später berichtet wurden, dass sie so der Wahrheit voll entsprechen. Ich hätte diese Aussagen jedenfalls nie gemacht, wenn ich einen klaren Kopf gehabt hätte.“ (Aus einer Tonbandkassette).
Inzwischen war auf Grund der so gewonnenen Aussagen Hermann Feilings Freundin Sybille S. verhaftet worden und verschwand für neun Monate in Stammheim. Die Bundesanwaltschaft hatte Teile der angeblichen Aussage gezielt an die Öffentlichkeit lanciert und damit eine neue Terrorismustheorie entworfen.
Die Bundesanwaltschaft war damals nämlich in Publicity-Not. Die denkwürdigen Herbsttage des Jahres 77 lagen schon reichlich lang zurück, die RAF war im Kern getroffen, das Jagdfieber war aber immer noch weitverbreitet, die Öffentlichkeit verlangte nach Erfolgen. Schon wurde der Bundesanwaltschaft von verschiedenen Seiten Untätigkeit vorgeworfen. So machte dann Bundesanwalt Rebmann aus Feilings Unfall einen „entscheidenden Schlag“ gegen die sogenannten „Revolutionären Zelln“, angeblich überaus gefährliche Nachfolgeorganisation der Roten Armee-Fraktion, über deren Tätigkeit und organisatorische Zusammenhänge in den Medien, besonders aber in der ständigen Kolumne der Polizei und Staatsanwaltschaft in der Rhein-Neckar-Zeitung die wildesten Spekulationen in Umlauf gebracht wurden. Ein Ehepaar, das Feiling im Krankenhaus besuchen wollte, wurde festgenommen; angeblich soll es eine Pistole dabeigehabt haben, um Feiling zu befreien oder zu ermorden. Nach drei Monaten wurde das Ehepaar wieder aus der Untersuchungshaft entlassen; das Verfahren wurde eingestellt, von der Pistole war keine Spur mehr, ebensowenig von Drohbriefen, die Feiling erhalten haben soll. Die Gerüchte über die Revolutionären Zellen sind dann versandet, man hat seitdem nichts meht von ihnen gehört. Es War also offensichtlich nicht so viel dran. Was bleibt, ist der Eindruck, dass Polizei und Justiz sich hier auf dem Rückken eines durch einen tragischen Unglücksfall wehrlos Gewordenen austoben und die bange Erfahrung, dass es hierzulande die Gesetze und die Art, wie die Ermittlungsbehörden mit ihnen umgehen, erlauben, dass ein Mensch monatelang ohne die Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen, wie ein Leibeigener der Polizei ausgeliefert ist und auf diese Weise aus ihm belastendes Material gegen Andere herausgeholt wird. Diese Vernehmungsmethoden sind ohne Zweifel illegal und die dadurch gewonnenen Aussagen sind zweifelos rechtsunwirksam.
Hermann Feiling ist von einem Internisten fUr eingeschränkt verhandlungsfähig erklärt worden (zweimal vier Stunden pro Woche). Ein psychologisches Gutachten steht noch aus. Auf Feiling haben sich die Ermittlungsmethoden der Staatsschützer nachhaltig ausgewirkt. Wie er betont, hat er Angst davor, im anstehenden Prozess wieder mit den Stimmen derer konfrontiert zu werden, denen er so lange wehrlos ausgeliefert war. Auch die Erinnerung daran löst bei ihm sehr starke emotionale Erregungen aus, die sich schon mehrmals zu epileptischen Anfällen gesteigert haben. Daher, und da es ja ausser den durch rechtsunwirksamen Vernehmungen zustande gekommenen Aussagen kein belastendes Material gegen Feilings Mitangeklagte gibt, kann eigenlich nur gefordert werden, dass die Anklage gegen Hermann Feiling, Sybille S. und Sylvia H. aufgehoben wird. Das wäre auch für die Justiz eine korrekte Lösung.
Wer sich näher für den Prozess interessiert oder die drei unterstützen möchte, kann sich an folgende Adressen wenden:
INITIATIVE FÜR HERMANN , SYBILLE UND SYLVIA. Dort, sowie im Buchladen Jörg Burkhard ist auch eine Dokumentation zu dem Fall erhältlich.
rob
Die alten und neuen Barbaren
Das erste Mal, als ich den Kripobeamten Berberich erlebt habe, muss vier oder fünf Jahre her sein. Die Heilig-Geist-Kirche war gerade besetzt, wir protestierten gegen die geplante Hinrichtung von fünf Menschen durch die Garotte in Francos Spanien. Berberich stand in der Kirche und hörte sich unauffällig um. Wir sahen sofort, dass das ein Polizist war und sagten es auch laut. Berberich darauf: ihn würde man ja kennen, aber es gebe genug, die wir nicht kennen. Das zweite Mal erlebte ich ihn handfester. Wir hatten, damals AStA-Mitglieder, Flugblätter im Foyer det Alten Uni verteilt, die Polizei war gerufen worden, Berberich und „Moby“ Ernst nahmen mich fest, brachten mich und einige andere zum Polizeipräsidium Im Hof des Polizeipräsidiums, um uns herum hunderte Uniformierter, führten mich Berberich und Ernst. an beiden Armen gepackt, in eine Zelle. Ich sagte, dass ich mich nicht so gerne von Männern anfassen lasse, worauf Ernst mich. wie von einer Tarantel gestochen, losliess, mit dem Ausspruch: „Erst Hausfriedensbruch machen und sich dann nicht anfassen lassen“. Berberich hielt mich weiterhin fest, als ob ich seine einzige Hoffnung wäre. Mein Eindruck damals: das war ein kleiner Wichtigtuer.
Mittlerweile hat der damalige Geselle Berberich sein Meisterstück gemacht. Das war der Fall Feilling. Unter der wohlwollenden Beooachtung seiner Vorgesetzten aus Stuttgart hat er die Prüfung mit Auszeichnung bestanden. Die Aufgabe war, einen lebensgefährlich verletzten, blinden, beinamputierten, hilflosen Menschen so lange zu vernehmen. vernehmen zu lassen, bis der ausspuckt, was man hören will. Unter Ausschaltung aUer rechtlichen Grundsätze, mit Tricks, indirekten Drohungen und dem fiesen Tauschhandel Rechtsanwalt oder ärztliche Weiterbehandlung. Zwischendurch hat er dem Gepeinigten eine Orange geschält oder ihm auch eine Mundartgeschichte aus der HR vorgelesen.
Beim nochmaligen Nachlesen unserer früheren Artikel zu den unglaublichen Ermitllungsmethoden im Fall Feiling, ist mir das kürzlich in der neuen Zeitschrift „Transatlantik“ veröffentlichte Interview mit dem Chef des Bundeskriminalamtes Herold eingefallen. Herold schildert da in einer Mischung von Sentimentalität und technokratische-philosophischem Wahnsinn unter anderem seine Visionen von einer zukünftigen Polizeiarbeit und von zukünftigen Gerichtsverfahren. Herold will den Zeugen als „absolut untaugliches Beweismittel“, auch den Richter und Sachverständigen, durch eine „Verobjektivierung des Strafverfahrens“ überflüssig machen: „Ich meine auch, dass viel von dem, was Amnesty International rügt, der Einfluss von Folter und Quälereien, Erpressung von Geständnissen usw. bei der Führung von Prozessen nicht nur zurückgeht auf den Willen zu quälen, sondern auf die Unfähigkeit, auf andere Weise sich in den Besitz der Wahrheit zu setzen. Je mehr doch der Prozess der Wahrheitsfindung objektiviert und wissenschaftlich nachvollziehbar gestaltet wird, um so mehr drängt er Folter und Grausamkeit zurück, stellt er vor dem Hintergrund objektiver Verfahren die Unhaltbarkeit dieser Mittel bloss“.
Eine objektivierende Wissenschaft als Mittel zur Humanisierung der Polizeiarbeit und des Strafvollzugs? Michel Foucault hat in seinem beeindruckenden Buch „Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses“, im Gegenteil dazu festgestellt, dass gerade das Eintreten der Wissenschaften in die Strafverfahren die Differenzierung und Vergrösserung der Barberei mit sich gebracht hat.
Gegen einen Super-Technokraten und IntellektuelIen sozialdemokratischer Prägung wie Herold, ein im Wortsinn avantgardistischer Barbar, erscheint der Christdemokrat Berberich wie ein provinzieller Spiessbürger, ein Barbar alter Tage. Was beide verbindet, ist die Tatsache, dass das von Herold gerne auf „verobjektivierende“ Art und Weise gewonnene Datenmaterial zumindest bislang nur auf alte barbarische Weise zusammengebracht werden konnte. Herold: „Ich befinde mich mit meiner Auffassung doch in einer Minderheitenposition; ich weiss nicht einmal, ob ich mich nicht auch innerhalb dieses Amtes, gegenüber meinen Kriminalbeamten, in einer Minderheitenposition befinde“.
Sollte Herold, der schon immer die politische Undurchsetzbarkeit seiner Vorstellungen beklagt hat, noch ein wenig weitermachen, könnte er für sich den Politiker Berberich durchaus als „Durchsetzungsorgan“ gewinnen, allerdings müsste er ihn vorher bekehren. Berberich hat nicht nur in seiner Polizeikarriere einen Schritt nach vorne gemacht und ist jetzt stellvertretender Leiter des Heidelberger Fahndungsdezernats, er hat es auch politisch zu etwas gebracht. Erst CDU-Ersatzbewerber für einen Sitz im Landtag, dann in den Gemeinderat gewählt, will sich Berberich auch höheren politischen Weihen nicht verschliessen. Jung genug ist er dafür und auch agil. In vielen Sätteln zuhause, als Personalrat, als Vorsitzender der Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund Kreis Heidelberg, als Mitglied und Aktivist der rechten Hilfsorganisation „Weisser Ring“, als DLRG-Ausbilder, „der vielen Heidelbergern das Schwimmen beigebracht hat“, als Sport-Wettkampfrichter. Immer freundlich, mit einer nellen Familie, zwei Kindern, die stolz auf ihren Papi sind, mit einer schmucken Wohnung im Darmstädter Hof. Und im Heidelberger Gemeinderat darf er auch ab und zu was sagen. Polizist und Politiker – eine ideale Mischung für die Lieblingsthemen des Herrn Berberich: Sicherheit, Familie, Jugend und Schule.
Mario Damolin