Zu dem ersten Verhandlungstag des Prozesses gegen die angeblichen ehemaligen RZ-Mitglieder Sonja S. und Christian G. am 21. September 2012 vor der 22. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main erklärt die Verteidigung:
Das Verfahren gegen Frau S. und Herrn G. stellt einen weiteren Tiefpunkt der unheilvollen Geschichte politischer Justiz in Deutschland dar. Die Anklage basiert auf Ermittlungsmethoden, die eines Rechtsstaates unwürdig sind. Die Angaben eines schillernden Kronzeugen und die eines Schwerverletzten, den die Ermittlungsbehörden „regelrecht ausgepresst“ (Spiegel 48/1980) haben, können in einem Rechtsstaat kein Strafverfahren begründen. Das Gericht hat es jedoch verpasst, die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen und so klar zu bekennen, dass die Staatsräson nicht den Einsatz jeglicher Mittel rechtfertigt. Es bleibt zu hoffen, dass es diesen Fehler durch einen Freispruch beider Angeklagten korrigiert.
Die Verteidigung erklärt weiter:
Mit einem unbewussten Gespür für Symbolik hat das Gericht den ersten Hauptverhandlungstag auf den Herbstbeginn am 21. September 2012 terminiert.
Der Herbst 1977 gilt als eine der größten Krisen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Er war geprägt von politisch motivierter Gewalt linker Gruppen auf der einen Seite und einem hysterisch reagierenden Staat auf der anderen. Die Bundesrepublik befand sich in einem nicht-erklärten Ausnahmezustand, in welchem sich die mit der Terrorismusbekämpfung befassten Behörden weitgehend rechtsstaatlichen Bindungen enthoben sahen.
Der Prozess gegen die angeblichen ehemaligen RZ-Mitglieder Sonja S. und Christian G. verspricht, diese Tradition staatlicherseits fortzuschreiben:
Den Angeklagten wird die Beteiligung an Anschlägen mit Sachschaden vor mehr als 30 Jahren vorgeworfen. Zentrales Beweismittel sind dabei die Aussagen eines Zeugen, der einen Tag, nachdem er beide Beine und beide Augen verlor, mit Schmerzmitteln vollgepumpt, ohne rechtliche Belehrung und ohne anwaltlichen Beistand in einem Zustand völliger Traumatisierung und Hilflosigkeit verhört wurde.
Der Spiegel kommentierte den ersten Prozess, der auf diesen Aussagen basierte 1980 wie folgt:
„Mit welchen Mitteln Kriminalbeamte und Staatsanwälte die Anklagebasis erzwungen haben, dass und warum der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts überhaupt verhandelt, markiert einen Tiefpunkt bundesdeutscher Rechtspflege.“ (Spiegel 48/1980)
Das Landgericht dokumentiert bereits durch die Eröffnung des Hauptverfahrens, dass es wie das damalige Oberlandesgericht Frankfurt von der grundsätzlichen Verwertbarkeit der Aussagen des Zeugen H.F. ausgehen will. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte entschieden, dass zwar die Angaben des Zeugen in der Zeit kurz nach seiner Operation nicht seiner freien Willensentschließung entsprangen, wohl aber die darauf aufbauenden Vernehmungen im Umfang von mehr als eintausend Seiten. Dabei blendete es bewusst aus, dass die späteren Angaben durch die rechtswidrigen Vernehmungen inhaltlich vorherbestimmt waren und auch die weitere Vernehmungssituation von der Traumatisierung des Zeugen, seiner rechtswidrigen Isolation und Täuschung geprägt war. Dieser Taschenspielertrick des OLG, den sich das jetzige Gericht zu eigen macht, taugt aber nicht einmal als rechtsstaatliches Feigenblatt (das Verfahren gegen den Zeugen H. F. musste später wegen Vernehmungs – und Verhandlungsunfähigkeit eingestellt werden).
Wir erwarten von dem Gericht in diesem Verfahren, dass es diese unheilvolle Kontinuität politischer Justiz durchbricht. Das Gericht muss die gegen alle rechtlichen und menschlichen Prinzipien erfolgten Verhöre für rechtswidrig, die Aussagen für unverwertbar erklären und die Angeklagten freisprechen.
Frau S. wird darüber hinaus der Vorwurf eines vermeintlichen Waffentransports im Zusammenhang mit dem Attentat auf die OPEC-Konferenz 1975 in Wien gemacht. Die Vorwürfe gründen allein auf den Angaben des berüchtigten Kronzeugen Hans-Joachim Klein. Dieser hatte bereits ein anderes ehemaliges RZ-Mitglied der Beteiligung an dem OPEC-Attentat bezichtigt und sich so mehr als 10 Jahre Gefängnis erspart. Allerdings stellte sich schließlich heraus, dass Kleins Angaben derart widersprüchlich und wechselhaft waren, dass das Gericht gezwungen war, diesen entgegen der Belastung durch Klein freizusprechen.
Frankfurt, 19. September 2012
Für die Verteidigung:
Waltraut Verleih, Rechtsanwältin, Souchaystrasse 3, 60594 Frankfurt am Main
Stephan Kuhn, Rechtsanwalt, Paul-Ehrlich-Straße 37, 60596 Frankfurt am Main
Für Presseinformationen und sonstige Rücksprachen steht Ihnen für die Verteidigung Herr Rechtsanwalt Detlef Hartmann, Körnerstrasse 75, 50823 Köln, unter der Tel. Nr.: 02 21/54 40 78 zur Verfügung.