P R E S S E E R K L Ä R U N G Rechtsanwalt Hartmann, Köln, 2.2.2012
Im Verfahren wegen Beteiligung an dem Opec-Überfall im Jahre 1975, hat Frau Suder die Richter wegen Befangenheit abgelehnt. Wie der Verteidiger Rechtsanwalt Hartmann mitteilte, hat das Richterkollegium in Frankfurt/Main unter Vorsitz der Richterin am Landgericht Stock in einer Haftverlängerungs-Entscheidung noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens deutlich gemacht, dass es nach dem bisherigen Stand den Kronzeugen Klein für glaubwürdig hält.
[Der vollständige Text des Befangenheitsantrags findet sich unter der Presseerklärung.]
Hans Joachim Klein hatte in unterschiedlichen Aussagen Frau Suder bezichtigt, ihn angeworben zu haben und beschuldigt, Waffen (die nicht benutzt wurden) für den Überfall transportiert zu haben. Klein ist das einzige Beweismittel, auf das sich die Anklage stützt. Selbst die Staatsanwaltschaft weist in ihrer Anklage auf sein wechselndes Aussageverhalten hin. Das Schwurgericht in Frankfurt/Main hatte nämlich im Jahre 2001 in einer ausführlichen Urteilsbegründung festgestellt, dass erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit von Kleins Angaben angebracht sind. Es hat darum auch einen von Klein belasteten Mitangeklagten freigesprochen. Über diese Zweifel setzt sich nun die Kammer in ihrer Haftverlängerungs-Entscheidung hinweg. Der Befangenheitsantrag stützt sich im Wesentlichen auf drei Punkte.
1. Obwohl Klein nie davon gesprochen hat, dass Frau Suder bei der konkreten Anwerbung überhaupt dabei gewesen ist, schreiben die abgelehnten Richter, dass es (noch) „nicht völlig gesichert“ sei, ob Frau Suder bei dieser Anwerbung dabei gewesen wäre.
2. An anderer Stelle haben die abgelehnten Richter dem Kronzeugen Klein eine Aussagekonstanz zugute gehalten. Dies geschah gegen die Aktenlage, denn eine Aussagekonstanz hat es gerade nicht gegeben. Dies hat auch das Schwurgericht in der Entscheidung aus dem Jahre 2001 so gesehen. Klein hatte seine bisherige Aussage in der damaligen Hauptverhandlung geändert. Er habe von dem Waffentransport von Frau Suder nur gehört. Am nächsten Verhandlungstag änderte er die Aussage wieder dahingehend, er habe Frau Suder in Wien gesehen. Die abgelehnten Richter glauben ihm dies offensichtlich, und das, ohne die Überprüfung in einer Hauptverhandlung erst abzuwarten. „Sie halten“ damit, wie es in dem Befangenheitsantrag heißt, „einem eingestandenen Lügner einen uneingeschränkten Wahrheitswert seiner Angaben zu Gute und zwar zu Lasten der Angeschuldigten“.
3. Obwohl Klein in keiner formellen Vernehmung vor der Hauptverhandlung davon gesprochen hatte, dass von Frau Suder überhaupt Sprengstoff transportiert worden ist, „interpretieren“ die abgelehnten Richter eine bloß formelhafte Wendung in dem früheren Urteil zu ihren Lasten. Als Anhaltspunkt dient ihnen dabei offensichtlich eine Passage in einem Buch von Klein, das nach seinen eigenen Angaben viele Lügen enthält, um andere Leute zu schützen.
Der Antrag fasst daher zusammen: „Von daher erscheint es nachvollziehbar, dass Frau Suder nicht nur die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter hegt, sondern von dem Verlust der Unparteilichkeit ausgehen muss“.
Über den Antrag werden in den nächsten Tagen andere Richter des Landgerichts Frankfurt/Main entscheiden.
Für Rückfragen steht Rechtsanwalt Hartmann unter den Telefonnummern 0221-544077 und 0160-2760818 (Mailbox und Rückruf) zur Verfügung.
Hartmann
Rechtsanwalt
Text des Befangenheitsantrags:
AnLandgericht Frankfurt am Main
Gerichtsstr. 2, Gebäude B
60313 Frankfurt
________
136/2007
Suder, Sonja
Köln, 31.01.2012
5/22 Ks – 6150 Js 25777/94 (13/11)
In der Strafsache gegen Sonja Suder
lehnt meine Mandantin Frau Suder die Vorsitzende Richterin am Landgericht Frau Stock, die Richterin am Landgericht Frau Möhrle und den Richter am Landgericht Herrn Dr. Kolz wegen der Besorgnis der Befangenheit ab.
Frau Suder sieht ihre Besorgnis im Beschluss der abgelehnten Richter vom 20.12.2011 begründet, mit dem ihr Antrag vom 13.12.2011 auf Aufhebung der Haftbefehle zurückgewiesen wurde. Hierin haben sie unter Nichtachtung der gebotenen Vorläufigkeit Beweismittel zu Lasten Frau Suders bewertet und damit bereits jetzt vor einer etwaigen Eröffnung des Hauptverfahrens eine innere Haltung zum Ausdruck gebracht, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinträchtigt.
I. Die Darstellung der Anklageschrift
Bei der Begründung des Vorwurfs einer Beteiligung am Überfall auf die in Wien tagende Konferenz der Organisation erdölexportierender Staaten (OPEC), bei dem drei Personen ums Leben gekommen sind, stützt sich die Anklage allein auf die Angaben des Kronzeugen Hans-Joachim Klein. Sie macht geltend, Klein habe in seinen Vernehmungen angegeben, Frau Suder sei im Spätherbst 1975 bei einem Treffen im Frankfurter Stadtwald neben anderen Personen anwesend gewesen, bei dem ihm der Wunsch des Leiters der Aktion „Carlos“ mitgeteilt worden sei, er möge daran teilnehmen. Wortführerin sei Frau Kuhlmann gewesen, zu Verhalten und Gesprächsbeteilung der anderen Personen machte er keine Angaben. Nachdem er sich Bedenkzeit aus erbeten habe, sei es etwas später zu einem zweiten Treffen im Stadtwald gekommen. Wer an diesem außer Frau Kuhlmann teilgenommen habe, wisse er nicht mehr. Darüber hinaus wird Frau Suder in der Anklageschrift der Transport von Waffen und Sprengstoff an den Tagungsort Wien zur Last gelegt. Hierzu habe Klein angegeben, dass sich die Lieferung der von Libyen versprochenen Waffen verzögert habe und der mitbeteiligte Boese auf Bitten von „Carlos“ telefonisch in Deutschland die Verbringung von geeigneten Waffen und Sprengmittel angeordnet habe. Diese seien von Frau Suder und einer anderen weiblichen Person nach Wien gebracht, mit Ausnahme des Sprengstoffs seien diese aber sofort wieder zurücktransportiert worden, nachdem die zugesagten Waffen aus Libyen eingetroffen seien.
II. Der Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls
In dem Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls hat die Verteidigung einen dringenden Tatverdacht bestritten, der den im Einzelnen aufgeführten gegen die Flucht wirkenden und sprechenden Umständen ausreichende Momente des Fluchtanreizes von Gewicht entgegenstellen könnte. Sie hat hierzu wie folgt ausgeführt:
Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Vorwürfe ausschließlich auf die Angaben von Hans-Joachim Klein. Dieser hat seine Angaben auch zu Lasten der Angeschuldigten auf dem Hintergrund der Kronzeugenregelung gemacht und sich dadurch erhebliche Vorteile verdient. Der damalige Angeklagte Klein ist u. a. wegen drei Morden mit Urteil des Schwurgerichts Frankfurt – in dem Verfahren gegen Klein und Schindler – 5/21 Ks 51 Js 118/86 – zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren unter Anwendung der Kronzeugenregelung verurteilt worden. Der Mitangeklagte Schindler, der im selben Verfahren von ihm belastet wurde, wurde freigesprochen.
In ihrem Antrag bezog sich die Verteidigung auf die im genannten Urteil angeführten Gründe, warum das Schwurgericht den Angaben Kleins kein Vertrauen schenkte. Sie machte darüber hinaus geltend, dass die mit der Kronzeugenreglung verbundene Problematik aufgrund der damit gemachten Erfahrungen fortbesteht. Die rechtstaatlichen Bedenken, die Beeinträchtigung des Gleichheitssatzes, wodurch schwerster Straftaten verdächtigte und überführte Täter materiell ungerechtfertigte Vorteile genießen, sind nicht gemindert. Das gilt vor allem auch für Beeinträchtigung der prozessualen Garantien der Wahrheitsfindung.
Falschbelastungen sind dann „vorprogrammiert“, ihre Korrektur ist fraglich, wenn einmal eine bestimmte Strategie gewählt wurde. Alles zu Lasten von Wahrheitsfindung und Chancengleichheit in einem. Dies begründet zumindest die Notwendigkeit gesteigerter Anforderungen an Nachvollziehbarkeit, Widerspruchfreiheit und Aussagekonstanz der Angaben des Kronzeugen.
Die Verteidigung hat sich sodann im Wesentlichen auf die Gründe und Beweiswürdigung in dem o. g. Urteil bezogen, die – soweit sie hier für das Verfahren über die Befangenheit der abgelehnten Richter von Bedeutung sind – nachfolgend im Einzelnen zitiert werden.
III. Haftfortdauerbeschluss der abgelehnten Richter vom 20.12.2011
In der Begründung des Beschlusses heißt es:
„Die Angeschuldigte macht geltend, Hans-Joachim Klein könne nicht als glaubwürdiger Zeuge angesehen werden. Da er als Kronzeuge ausgesagt habe, seien seine Angaben mit besonderer Vorsicht zu würdigen. Zudem seien seine Aussagen nicht konstant und nicht frei von Widersprüchen.
Mit im Wesentlichen entsprechender Begründung hatte die Verteidigung der Angeschuldigten bereits im März 2009 Haftbeschwerde erhoben, die von der Kammer 02.09.2009 zurückgewiesen wurde. Auf die im Wesentlichen noch immer zutreffende Begründung der Kammer aus der sich das Vorliegen eines dringenden Tatverdachtes ergibt, wird hier verwiesen. Insbesondere ist festzustellen, dass die Aussagen des Hans-Joachim Klein hinsichtlich der Waffenlieferung nach Wien durch die Angeschuldigte durchaus über Jahre hinweg konstant waren. Wie im damaligen Beschluss ausgeführt wurde, gab er bereits bei seiner Zeugenaussage im September 1998 Caen an, es sei eine ältere Frau mit dem Namen „Sonia“ mit den Waffen eingetroffen und am nächsten Tag mit den Waffen nach Deutschland zurückgefahren. Bei der Zeugenvernehmung im Juli 1999 ergänzte er, eine weibliche Person habe die Waffen gebracht. Zwei Monate später identifizierte er diesbezüglich die Angeschuldigte im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage und ergänzte, sie habe ein Medizinstudium angefangen gehabt, lange schwarze Haare gehabt und keine Brille getragen. Dies trifft bzw. traf auf die Angeschuldigte zu. Er habe sie in der Wiener Wohnung selbst gesehen. In der Hauptverhandlung des gegen ihn gerichteten Verfahrens von Oktober 2000 bis Februar 2001 gab Klein zwar zunächst an, er wisse nur aus einem Bericht Boeses, dass die Angeschuldigte den Waffentransport nach Wien durchgeführt habe. Doch bereits am folgenden Verhandlungstag berichtigte er sich dahingehend, dass er sich mit Sicherheit daran erinnere, die Angeschuldigte gesehen zu haben, als sie mit den RZ-Waffen nach Wien gekommen sei. Er erklärte die Änderung seiner Aussage damit, er habe zunächst nicht auch noch in der Hauptverhandlung – wie zuvor bereits in seinen polizeilichen Vernehmungen – zum „Verräter“ werden wollen.
Die Kammer ist sich des Umstandes bewusst, dass dieses Aussageverhalten Fragen aufwirft, deren Klärung jedoch ebenso wie die abschließende Bewertung der Angaben des Hans-Joachim Klein der etwaig durchzuführenden Hauptverhandlung vorbehalten bleiben. Nach dem derzeitigen Stand spricht jedenfalls deutlich mehr für eine Waffenlieferung durch die Angeschuldigte als dagegen, denn ein Motiv für eine Falschbelastung ist bei Klein nicht ansatzweise ersichtlich (Hervorhebung nicht im Original). Die – vom einen Hauptverhandlungstag abgesehen – vorliegende Aussagekonstanz spricht gegen Erinnerungslücken, die sogar gravierend wären, dass man sich gar nicht mehr nach der Aussage richten könnte.
Die Verteidigung der Angeschuldigten betont nunmehr zudem, die Lieferung von Sprengstoff – der beim Anschlag im Gegensatz zu den Waffen auch Verwendung gefunden habe – durch die Angeschuldigte, finde in den Angaben von Klein keine Stütze. Jener habe vielmehr nur von Waffen gesprochen. Die Kammer versteht die Begründung des Urteils gegen Hans-Joachim Klein jedoch so (Hervorhebung nicht im Original), dass jener in der Hauptverhandlung auch detailliert vom Sprengstoff berichtete. Auf S. 29 des Urteils ist aufgeführt, welche Waffen geliefert wurden. Dabei sind auch „15 bis 20 kg Sprengstoff nebst Zündern“ erwähnt. Auf S. 58 des Urteils werden die in diesem Abschnitt getroffenen Feststellungen auf die „glaubhafte Einlassung Kleins“ zurückgeführt. Im Beschluss vom 02.09.2009 wird ferner darauf verwiesen, dass Klein bereits im Buch „Rückkehr in die Menschlichkeit“ die Lieferung des Sprengstoffs schilderte.
Die Kammer verkennt nicht, dass die bezüglich der Waffenlieferung nach Wien bestehende Aussagekonstanz in den Angaben des Hans-Joachim Klein hinsichtlich der Rekrutierungsgespräche im Frankfurter Stadtwald weniger stark vorhanden ist. Insbesondere für das 2. Treffen, bei dem er erfolgreich angeworben worden sein soll, erscheint es nicht völlig gesichert (Hervorhebung nicht im Original), dass der Angeschuldigten eine Teilnahme nachzuweisen sein wird, da Klein zu jenem Treffen eher vage Angaben gemacht hat. Ansonsten äußerte er zum Treffen nicht in jeder Vernehmung, die Angeschuldigte sei dabei gewesen. Teilweise erwähnte er sie gar nicht, zum Teil erwähnte er ihre Teilnahme und wiederum anderem Zusammenhang gab er sogar an, sie sei es gewesen, die ihn auf das geplante Attentat angesprochen habe. Mit Verweis auf den Beschluss vom 02.09.2009 ist diesbezüglich festzustellen, dass unauflösbare Widersprüche nicht bestehen, sodass zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen und der Glaubhaftigkeit seiner Angaben dessen Einvernahme in der etwaig durchzuführenden Hauptverhandlung abzuwarten ist. (Seite 4ff )
IV. Gründe für die Besorgnis der Befangenheit
Die Ausführungen in dem Beschluss begründen bei einer vernünftigen Angeklagten die Annahme, dass sich die abgelehnten Richter zu ihren Lasten schon ein festes Bild von der Glaubhaftigkeit, Aussagefähigkeit und Glaubwürdigkeit des Zeugen Klein gemacht haben. Sie begründen die Besorgnis, dass sie zu Lasten der Angeklagten sogar contra factum von der Glaubwürdigkeit ausgehen wollen, wo sie selbst in ihrer Begründung den Mangel an Verlässlichkeit hervorgehoben haben. Sie begründen die Besorgnis, dass sie zu ihren Lasten von Angaben des Zeugen Klein ausgehen wollen, für die es im Ermittlungsverfahren bislang keine Grundlage und keinen Nachweis gibt. Sie begründen darüber hinaus die Besorgnis, dass sie von der relativen Sicherheit des Nachweises einer Teilnahme aufgrund der vorgeblichen Angaben des Zeugen Klein ausgehen wollen da, wo er überhaupt keine Angaben gemacht hat. Frau Suder muss also aus all dem besorgen, dass die abgelehnten Richter schon jetzt davon ausgehen, ihrer Verurteilung die Aussagen Kleins zugrunde legen zu können. Im Einzelnen:
1. Die Korrekturen des Kronzeugen mit „Motiv“
Hinsichtlich der Zuschreibung der Waffenlieferung an die Angeschuldigte geben die abgelehnten Richter die Angaben Kleins in der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht Frankfurt im Jahre 2001 und ihre Korrekturen, so wie sie das Urteil gegen ihn wiedergibt, nicht wörtlich und darum nur ungenau wieder. Im Urteil heißt es hierzu:
„Den Mitangeklagten SCHINDLER habe er in Wien nie gesehen, auch nicht in dem Haus außerhalb von Wien. Er habe lediglich von Boese in Wien erzählt bekommen, „Max“ sei in Wien und kümmere sich um die Autos…. Als ihm daraufhin seine anders lautenden Angaben im Ermittlungsverfahren vorgehalten wurden, erklärte er, er habe damals gegenüber den Ermittlungsbehörden schlicht vergessen hinzuzufügen, dass er von SCHINDLERs Anwesenheit in Wien nur durch Boeses Erzählungen wisse…. Zu Sonja Suder äußerte er, dass diese und eine weitere Frau den Transport der RZ-Waffen nach Wien durchgeführt hätten, wisse er ebenfalls nur aus einem Bericht Boeses. Diese überraschende Einlassung änderte er am folgenden nächsten Verhandlungstag, indem er durch seinen Verteidiger erklären ließ, er erinnere sich doch mit „Sicherheit“ daran, dass er „Sharif, nämlich SCHINDLER, und Frau Suder in Wien selbst gesehen habe…. Es könne sein, dass er ihn auch in der (für die Aktion angemieteten) Wohnung der Kammersängerin, und zwar beim „cleanen“ der Wohnung, gesehen habe. Dort habe er auch Frau Suder gesehen, die Boese, als sie mit den RZ-Waffen nach Wien gekommen sei, abgeholt und mit den Waffen dort hin gebracht habe. Seine anfänglich anders lautende Aussage begründete Klein damit, dass er es nicht über sich gebracht habe, gegen sein bisheriges festes Prinzip zu verstoßen, nur über seine eigene Beteiligung am OPEC-Attentat zu sprechen, um nicht zum Verräter zu werden. Zwar habe er in den polizeilichen Vernehmungen dieses Prinzip bereits zunehmend aufgegeben gehabt, aber in der Hauptverhandlung nicht noch den letzten Schritt tun wollen. Jetzt wolle er seine Schuld tragen, sehe aber, dass auch SCHINDLER und Suder im Zusammenhang mit dem OPEC-Attentat ihre Verantwortung übernehmen müssen.“ ( UA S. 114 f).
Dies wird in dem Beschluss der abgelehnten Richter wie folgt verändert wiedergegeben:
„Er habe sie in der Wiener Wohnung selbst gesehen. In der Hauptverhandlung des gegen ihn gerichteten Verfahrens vom Oktober 2000 bis Februar 2001 gab Klein zwar zunächst an, er wisse nur aus einem Bericht Boeses, dass die Angeschuldigte den Waffentransport nach Wien durchgeführt habe. Doch bereits am folgenden Verhandlungstag berichtigte er sich dahingehend, dass er sich mit Sicherheit daran erinnere, die Angeschuldigte gesehen zu haben, als sie mit den RZ-Waffen nach Wien gekommen sei. Er erklärte die Änderung seiner Aussage damit, es habe zunächst nicht auch noch in der Hauptverhandlung – wie zuvor bereits in seinen polizeilichen Vernehmungen – zum „Verräter“ werden wollen“ (Seite 4 f).
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass in dem Urteil nicht von „berichtigen“ die Rede ist, sondern, und mit der gebotenen Neutralität und Distanz, von einer „überraschenden Änderung“ einer Einlassung. Diese Änderung ging dahin, dass er die Angeschuldigte in der Wohnung der Kammersängerin gesehen habe. Sie ging jedoch nicht so weit, dass Klein behauptet hätte, die Angeschuldigte „gesehen zu haben, als sie mit den RZ-Waffen nach Wien gekommen sei.“ Dies würde heißen, dass er sie beim Transport der RZ-Waffen gesehen haben will. Der Zeuge Klein geht jedoch nicht so weit, sondern beschränkt sich darauf zu sagen: „dort (gemeint ist die Wohnung der Kammersängerin) habe er auch Frau Suder gesehen, die Boese, als sie mit den RZ-Waffen nach Wien gekommen sei, abgeholt und mit den Waffen dort hin gebracht habe“. Die abgelehnten Richter gehen also in ihrer Wiedergabe des Urteils über die darin aufgestellten Behauptungen Kleins zu Lasten der Angeschuldigten hinaus.
Viel gravierender ist der Umstand, dass der Kronzeuge Klein ganz offen zugibt, seine Angaben bewusst geändert und damit seine Selbstdarstellung dem Gericht gegenüber bewusst manipuliert zu haben. Darüber hinaus benennt er sogar das „Motiv“ der Manipulation: er habe „nicht zum Verräter“ werden wollen. Diese Manipulation geht nicht auf einen bloßen Wechsel in der Darstellung. Vielmehr wird zunächst dem Gericht gegenüber die Behauptung aufgestellt, „er habe damals gegenüber den Ermittlungsbehörden schlicht vergessen hinzu zu fügen, dass er von SCHINDLERs nur durch Boeses Erzählungen wisse.“ Er behauptet also ein positives Wissen von seiner damaligen Falschdarstellung, die er nunmehr korrigieren und richtig stellen wolle. Wenn er nunmehr zu sowohl Schindler, als auch die Angeschuldigte Suder belastenden Angaben zurückkehrte, geschah dies im bewussten Eingeständnis einer absichtlichen Falschdarstellung und Manipulation der Wahrheit vor dem erkennenden Gericht.
Die abgelehnten Richter behandeln dieses manipulative Verhalten unter dem Gesichtspunkt der „Aussagekonstanz“: „Insbesondere ist festzustellen, dass die Aussagen des Hans-Joachim Klein hinsichtlich der Waffenlieferung nach Wien durch die Angeschuldigte durchaus über Jahre hinweg konstant waren.“ (S. 4) Dies geht zu Lasten der Angeschuldigten und an dem Sinn des Kriteriums für Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Verlässlichkeit völlig vorbei. In den vielen richterlichen Entscheidungen zur Bedeutung der „Aussagekonstanz“ in Fällen der Konstellation „Aussage gegen Aussage“ und den damit verbundenen Schwierigkeiten der Beweiswürdigung werden hohe Anforderungen an die Aussagekonstanz darum gestellt, um das Erfordernis einer ausreichenden Sicherheit und Grundlage für das Vertrauen in die Aussage eines Zeugen zu betonen. Dies schließt aber Fälle nicht ein, in denen der Zeuge selbst bekundet, er habe in den in die Beurteilung einbezogenen Fällen absichtlich auch die Unwahrheit gesagt. Hier hat das Kriterium der Aussagekonstanz seine Bedeutung völlig verloren. Die höchstrichterliche Rechtsprechung sieht sich in solchen Fällen außerstande, dem Angeklagten den Beweiswert einer seinen Angaben entgegenstehenden Darstellung zur Last zu legen. Dies aber tun die abgelehnten Richter. Um es deutlich auszudrücken:
sie halten einem eingestandenen Lügner einen uneingeschränkten Wahrheitswert seiner Angaben zu Gute und zwar zu Lasten der Angeschuldigten.
Darüber hinaus aber liefert der Kronzeuge zudem das Motiv für seine Manipulationsbereitschaft: „nicht als Verräter“ zu agieren. Der Kronzeuge entwertet dieses Motiv zwar damit, dass er auch früher schon gegen dieses „bisherige feste Prinzip“ verstoßen habe, nur über seine eigene Beteiligung am OPEC-Attentat zu sprechen. Er habe es allerdings schon in seinen polizeilichen Vernehmungen „zunehmend aufgegeben gehabt, aber in der Hauptverhandlung nicht auch noch den letzten Schritt tun wollen.“ Aber auch diesen „letzten Schritt“ hatte er im Verlauf der Hauptverhandlung bereits vollständig durch Belastungen anderer Personen aufgegeben, so dass dem Erklärungswert dieses Motivs für seine hier in Rede stehende Wahrheitsmanipulation keine Bedeutung mehr zugemessen werden kann. Seine Angaben jedoch legen einen ganz anderen Motivhintergrund nahe: „jetzt wolle er seine Schuld tragen, sehe aber, dass auch SCHINDLER und Suder im Zusammenhang mit dem OPEC-Attentat ihre Verantwortung übernehmen müssten.“ Diese Absicht, andere in die Schuld für die Tat einzubeziehen, gehört zum genuinen Motivkomplex des Kronzeugen. Es gehört zu den Motiven, warum die Kronzeugenregelung überhaupt geschaffen wurde. Hier einmal zugrunde gelegt, dass er die Informationen in der Tat nur von Boese erhalten hat – und von dieser Möglichkeit muss grundsätzlich ausgegangen werden, denn weitere Aufklärungsmittel stehen nicht zur Verfügung – dann wäre hierin eine typische Manipulation der Wahrheit durch einen Kronzeugen erfolgt, nahe gelegt aus Motiven, die zu seinem Geschäft und zu seinem Motivkomplex als Kronzeuge dazugehören und die die Verlässlichkeit seiner Angaben grundsätzlich in Frage stellen. Wie es in der Begründung des Antrags auf Aufhebung des Haftbefehl unter Bezugnahme auf die Erörterungen und Entscheidungen zur Kronzeugenproblematik heißt: „Falschbelastungen sind dann „vorprogrammiert“, ihre Korrektur ist fraglich, wenn einmal eine bestimmte Strategie gewählt wurde.“ Zu Lasten der Angeschuldigten gehen die abgelehnten Richter davon aus, dass hier die Korrektur der Korrektur unbeachtet bleiben kann, was die Besorgnis begründet, dass zu ihren Lasten die schlechtestmögliche Aussage des Kronzeugen zugrunde gelegt werden soll.
2. Falschbelastungen des Kronzeugen ohne Motiv
Die Angeschuldigte muss ihre Besorgnis auch dadurch begründet sehen, dass die abgelehnten Richter ein Motiv für die Falschbelastung bei Klein „nicht ansatzweise“ für ersichtlich erklären und dies als Begründung dafür bemühen („denn“), dass nach derzeitigem Stand deutlich mehr für eine Waffenlieferung durch die Angeschuldigte als dagegen spricht. Selbst wenn man nicht der Meinung ist, dass die oben wiedergegebenen Hintergründe für die doppelte Korrektur und die darin liegende Falschdarstellung ein Motiv für die Falschbelastung darstellen, so muss es gleichwohl die Besorgnis der Befangenheit erregen, dass ein Motiv für „nicht ansatzweise ersichtlich“ erachtet wird. Mit dieser Formulierung drücken die abgelehnten Richter nicht nur aus, dass ein Motiv nicht festgestellt werden könne. Sie erklären, dass es objektiv keinen erdenklichen Ansatz für eine Interpretation der Aussagen gibt, die zur Annahme eines Motivs für eine Falschbelastung führen kann. Sie erklären damit, dass ein Motiv für eine Falschbelastung aus dem Akteninhalt nicht vorstellbar und damit auszuschließen ist.
Hingegen drängen die im Urteil des Schwurgerichts behandelten massiven Widersprüche und Falschangaben Kleins immerhin die Möglichkeit eines Motivs auf, ohne dass es nun explizit dargelegt werden müsste. Sie stellen jedenfalls einen Ansatz dar, die Möglichkeit eines Motivs in Betracht zu ziehen, da kein Anlass besteht, von motivfreiem Verhalten auszugehen. Die kategorische Feststellung durch die abgelehnten Richter muss bei der Angeschuldigten die Besorgnis wecken, dass sie sich – trotz entgegenstehendem Akteninhalt – schon dafür entschieden haben, von der Glaubwürdigkeit des Zeugen Klein auszugehen und für Zweifel an ihr keinen Ansatz mehr sehen.
Diese Besorgnis verstärkt sich dadurch, dass hieraus hergeleitet wird, dass „nach dem derzeitigen Stand…. jedenfalls deutlich mehr für eine Waffenlieferung durch die Angeschuldigte als dagegen …..“ spricht. Das Schwurgericht Frankfurt hat in dem zitierten Urteil jedenfalls ausdrücklich betont, dass es ausreichend Gründe gibt, seine Angaben für irrtümlich und nicht glaubhaft zu halten, auch wenn ihm eine Absicht zur Falschbelastung nicht unterstellt werden könne.
Das Urteil des Schwurgerichts führt hierzu aus:
„Dabei kann sowohl aus objektiven Gründen (so dem Umstand, dass kein Motiv – Fettdruck nicht im Original – ersichtlich ist, warum KLEIN Schnepel schützen, SCHINDLER dagegen zu Unrecht belasten sollte) wie auch aufgrund des Eindrucks, den die Kammer von KLEIN im Lauf der Hauptverhandlung gewonnen hat, davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte zu Schnepel und auch (wie noch zu erörtern sein wird) zu SCHINDLER nicht bewusst die Unwahrheit sagt, sondern nach einem unter schwierigsten Bedingungen verbrachten Vierteljahrhundert schlicht an die Grenzen seiner Erinnerungsfähigkeit gestoßen ist. KLEIN gelingt es – wie sein Verhalten in der Hauptverhandlung belegt – nur schwer, Angaben, die er einmal in der Überzeugung ihrer Richtigkeit gemacht hat, auf begründeten Vorhalt hin nochmals gründlich zu durchdenken und gegebenenfalls richtigzustellen“. (Urteil Seite 56)
Auch wenn der Sinngehalt von „Absicht“ und „Motiv“ nicht identisch ist, so drücken beide doch nur eine subjektive Intentionalität aus, deren Fehlen nicht zur Begründung der Richtigkeit der Angaben herangezogen werden kann. Das Urteil des Schwurgerichts kommt zu dem Ergebnis einer Falschbelastung auch ohne Motiv, weil sich Klein schlicht irre und von dem Irrtum nicht mehr abrücke. Der Schluss vom Mangel eines Motivs für eine Falschbelastung auf den Wahrheitswert der Aussage ist schlicht unzulässig und muss eine schwere Besorgnis über die negative Einstellungen der abgelehnten Richter zur Wahrheitsfindung begründen.
3. Die Sprengstofflieferung
Einen weiteren Grund für ihre Besorgnis der Befangenheit sieht die Angeschuldigte darin, dass die abgelehnten Richter aus der Begründung des Urteils nähere Angaben von Hans-Joachim Kleins über die Anlieferung von Sprengstoff ziehen. Die Erwähnung von „15 bis 20 kg Sprengstoff nebst Zündern“ finden die abgelehnten Richter in dem Geschehensbericht im Rahmen der Urteilsfeststellungen. Lediglich pauschal werden auf S. 58 des Urteils die getroffenen Feststellungen auf die „glaubhafte Einlassung Kleins“ zurückgeführt, die in diesem Rahmen übliche formelhafte Wendung. Die abgelehnten Richter behaupten jedoch selbst nicht, dass und wie Hans-Joachim Klein einen detaillierten Bericht zur Lieferung des Sprengstoffs abgegeben hat. Sie „verstehen“ die Begründung dieses Urteils lediglich aus dieser formelhaften Wendung am Schluss der Tatsachenfeststellungen in diese Richtung. Dabei ist bemerkenswert, dass Hans-Joachim Klein in keiner formellen Vernehmung vor dieser Hauptverhandlung davon berichtet hat, dass der durch RZ Mitglieder angelieferten Sprengstoff überhaupt benutzt worden ist. Er erwähnt dies nur in seinem Buch „Rückkehr in die Menschlichkeit“, das nach eigenen Aussagen in vielen Punkten gelogen ist.
Die Angeschuldigte muss besorgen, dass die abgelehnten Richter bereit sind, ihr die Lieferung des Sprengstoffs auch ohne Anhaltspunkt für einen Beweis im Rahmen der Entscheidung über die Haftfrage zur Last zu legen.
4. Die Anwerbungen im Stadtwald
Zur angeblichen Anwerbung Kleins heißt es in der Entscheidung der abgelehnten Richter:
„Insbesondere für das zweite Treffen, bei dem er erfolgreich angeworben worden sein soll, erscheint es nicht völlig gesichert (Betonung nicht im Original), dass der Angeschuldigten eine Teilnahme nachzuweisen sein wird, da Klein zu jenem Treffen eher vage Angaben gemacht hat. Ansonsten äußerte er zum ersten Treffen nicht in jeder Vernehmung, die Angeschuldigte sei dabei gewesen. Teilweise erwähnt er gar nicht, zum Teil erwähnt er ihre Teilnahme und in wiederum anderem Zusammenhang gab er sogar an, sie sei es gewesen, die ihn auf das geplante Attentat angesprochen habe“ (S. 5 f).
Klein hat nie behauptet, dass Frau Suder bei dem zweiten Treffen dabei gewesen sei. Gleichwohl erscheint es den abgelehnten Richtern lediglich als „nicht völlig gesichert“, dass ihr eine Teilnahme nachgewiesen werden kann. Dies kann im gegebenen Kontext nur als ein Grad der Sicherheit verstanden werden, der unmittelbar unterhalb der „völligen Sicherheit“ angesiedelt ist, sie jedoch nicht ganz erreicht. Ein Grad der fast völligen Sicherheit jedenfalls, der für die Annahme eines dringenden Verdachts ausreicht. Mit welchem Beweismittel sie ihre angegebene Unsicherheit beseitigen wollen, ist nicht erkennbar, denn andere Beweismittel als die Angaben Kleins liegen nicht vor und Klein hat in der damaligen Hauptverhandlung angegeben:
„Da er sich Bedenkzeit auserbeten habe, sei es dann etwas später zu einem zweiten Treffen im Stadtwald gekommen. Wer an diesem au¬ßer Kuhlmann teilgenommen habe, wisse er nicht mehr. (Urteil S. 107)
Während die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift die unterschiedlichen Angaben von Klein aufführt, ohne diese in ihrem Beweiswert zu gewichten, lassen die abgelehnten Richter erkennen, was sie unter einer „vorläufigen Bewertung“ verstehen:
Selbst wenn der Zeuge angibt, dass er nicht (mehr) wisse, wer bei dem zweiten Treffen außer Kuhlmann dabei gewesen wäre, erscheint dennoch der Nachweis der Teilnahme von Frau Suder lediglich als „nicht völlig gesichert“.
Das Schwurgericht Frankfurt kommt nach einer Hauptverhandlung von vier Monaten zu einer gänzlich anderen Beurteilung der Aussage- und Erinnerungsfähigkeit von Klein hinsichtlich beider Treffen im Stadtwald:
„Während die Angaben in Bezug auf Brigitte Kuhlmann eine eindeutige Konstanz aufweisen und deshalb (zumal die Mitwirkung der Anführerin der RZ bei einer so wichtigen Aktion auch naheliegend ist) glaubhaft sind, kann auf die wechselnden Ausführungen zu den weiteren Teilnehmern der Treffen (Hervorhebung nicht im Original) im Stadtwald keine tragfähige Feststellung gestützt werden.“ (Urteil S. 108)
Selbstverständlich ist die Kammer, sind die abgelehnten Richter, nicht an die Beweiswürdigung des Schwurgerichts aus dem Jahre 2001 gebunden. Ohne die Benennung weiterer – anderer – Beweismittel, die für eine Teilnahme sprechen, ist eine Bewertung der abgelehnten Richter, dass die Teilnahme noch nicht gesichert ist, also letztlich noch nicht zu 100 % bewiesen ist, nicht nachvollziehbar.
Die abgelehnten Richter gründen ihre Behandlung der Frage der Teilnahme an dem Treffen im Stadtwald auf die Angaben des Hans-Joachim Klein zum Zeitpunkt der Entscheidung. Die Anwesenheit bei einem ersten Treffen ist auf dem Hintergrund eklatanter Divergenzen und Unsicherheiten sehr zweifelhaft. Die Anwesenheit bei dem zweiten Treffen hat Klein jedoch nie behauptet. Gleichwohl erachten es die abgelehnten Richter für gesichert, wenn auch (noch) nicht völlig gesichert, dass der Angeschuldigten eine Teilnahme nachzuweisen sein wird. Denn anders ist im Begründungskontext die Wortwahl „erscheint es nicht völlig gesichert“ nicht zu verstehen. Der Grad der zum gegenwärtigen Zeitpunkt gewonnenen Sicherheit des Nachweises ist für die Besorgnis der Angeschuldigten nicht entscheidend. Es reicht, dass sie davon ausgehen muss, dass die abgelehnten Richter von einer für die Haftentscheidung und den dringenden Tatverdacht hinreichenden Sicherheit ausgehen, dass sie mithin bereit sind, ihr ohne Grundlage diese Teilnahme zur Last zu legen.
5. Identifizierungsunsicherheit
Auch die völlig unzureichende Identifizierungssicherheit von Klein nach Lichtbildvorlagen, hätte einen Irrtum Kleins hinsichtlich eines Wiedererkennens von Personen bei einer vorläufigen Beurteilung nicht im Vorhinein ausschließen dürfen.
Das Schwurgericht kommt jedenfalls zu folgenden Feststellungen:
„Schon diese Merkwürdigkeiten rechtfertigen Zweifel, ob die von KLEIN im Rahmen der Lichtbildvorlage vom 02.09.1999 vorgenommene Gleichsetzung von SCHINDLER, „Max“ und „Sharif“ zuverlässiger Erinnerung entspringt und ob es sich bei SCHINDLER tatsächlich um die von KLEIN dem Kreis der vier „Logistiker“ zugerechnete Person handelt oder ob KLEIN nicht vielmehr nach etwa 25 Jahren Klarnamen, Decknamen und Personen durcheinandergebracht bzw. falsch miteinander kombiniert hat. …
Diese Zweifel werden durch seine Angaben bei der ausführlichen Lichtbildvorlage vom 02.09.1999 weiter verstärkt. Hier erkannte KLEIN zwar den auf Bild 25 gezeigten SCHINDLER „genau wieder“, war aber nicht imstande, dessen Namen oder Decknamen zu nennen, obwohl er beide zuvor bereits in mehreren Vernehmungen erwähnt hatte. Auch auf den entsprechenden Vorhalt kam er nur zu der Aussage, es handle sich „wohl“ um SCHINDLER bzw. „Max“ / „Sharif“. Die dadurch zum Ausdruck gebrachte Unsicherheit vergrößerte er anschließend noch durch die Formulierung, er „nehme an“, dass diese Person in Wien gewesen sei. Wer sich derart vage ausdrückt, kann die entstandenen Zweifel auch nicht dadurch wieder beseitigen, dass er bei einer weiteren Betrachtung des Lichtbildes plötzlich ohne Begründung erklärt, er erkenne nun darauf Rudolf SCHINDLER wieder, dieser habe in Deutschland den Decknamen „Max“ und später im Jemen „Sharif“ geführt.
Die Zweifel an der Identifizierungssicherheit bei der Lichtbildvorlage vom 02.09.1999 werden noch durch weitere Umstände bestärkt. So benannte KLEIN hier, obwohl er diesbezüglich zuvor nie von einer weiteren Frau gesprochen hat, erstmals Sonja Suder als Teilnehmerin der Anwerbung im Stadtwald – allerdings ohne deren Nachnamen oder Decknamen (obwohl sie ihm bereits von der französischen Polizei genannt worden waren) zu erinnern. Auch war diese ihm plötzlich als Mitglied der Frankfurter RZ in Erinnerung, obwohl er in seinen vorherigen Vernehmungen angegeben hatte, von der RZ in Frankfurt außer K. und B. nur W., SCHINDLER sowie einen Mann zu kennen, der ständig mit SCHINDLER in Frankfurt zusammengewesen sei. Ebenfalls zum ersten Mal wurde im Rahmen dieser Lichtbildvorlage Sonja Suder der Transport der RZ-Waffen nach Wien zugeschrieben…
Ganz problematisch zeigt sich sein Gedächtnis bei seinen Angaben zu den Lichtbildern 2 und 32, von denen das erste H. W. und das zweite H. K. zeigt. Zunächst erkannte er auf Bild 2 eines der beiden RZ-Mitglieder aus Frankfurt wieder, die – wie er es in früheren Vernehmungen gesagt habe – „immer zusammen waren“ (er meinte offensichtlich den Mann, von dem er z.B. in der Vernehmung vom 11.08.1999 berichtet hatte, dieser und SCHINDLER seien in Frankfurt ständig zusammen gewesen). Bei Betrachtung des Lichtbilds 32 änderte er (obwohl beide Personen keine eine Verwechslung erklärende Ähnlichkeit aufweisen) diese Identifizierung und behauptete nun, er sei sich sicher, diese Person mit derjenigen auf Bild 2 verwechselt zu haben, richtigerweise sei der Mann auf Bild 32 (das hieße also K.) der Frankfurter, der stets mit dem auf Bild 25 zusammen gewesen sei. Bei einer erneuten Vorlage der Fotos, diesmal unter Bekanntgabe der Namen, schwand die zuvor bekundete Sicherheit wieder und er erklärte sich zu Bild 32 jetzt „verunsichert, ob die Angaben, die (er) zu dieser Person gemacht habe, tatsächlich zutreffend (seien) oder ob sie nicht die Person H. W., Bild 2, betrifft.“ Die hier zum Ausdruck gekommene Unsicherheit ist hinsichtlich SCHINDLER deshalb von Bedeutung, weil KLEIN die enge Beziehung zwischen beiden immer wieder auch zur Begründung seiner Erinnerung an seinen Mitangeklagten anführt.
Ein ähnlich schwaches Erinnerungsvermögen offenbaren seine Bekundungen bei der Lichtbildvorlage hinsichtlich Anwesenheit und Aufgaben der angeblich auf den Bildern 25 und 32 (bzw. 2) wiedererkannten Personen. Während er zuerst behauptet hatte, beide hätten die logistische Unterstützung in Wien geleistet, schränkte er diese Angabe schon wenige Sätze später dahin ein, er könne sich doch nicht erinnern, ob diese beiden in Wien gewesen seien; er gehe zwar davon aus, dass sie dort gewesen seien, sicher sei er sich aber lediglich „zu 90 %“. (Urteil S. 116 ff)
Diese Passagen des Urteils werden deshalb zitiert, weil in ihnen deutlich und nachvollziehbar wird, mit welcher Genauigkeit das Schwurgericht sich mit den Angaben von Klein auseinander gesetzt hat. Hierzu besteht im Rahmen einer Haftbeschwerde sicherlich keine Veranlassung. Die Ausführungen des Haftfortdauerbeschlusses lassen aber bei der Angeschuldigten den begründeten Verdacht entstehen, dass die abgelehnten Richter diese Erkenntnis des Schwurgerichts überhaupt nicht in ihre – vorläufige – Beurteilung einfließen lassen wollen, die darum selektiv, unausgewogen und tendenziös wirkt.
Die Wahrnehmung und Behandlung der Angaben Kleins im Hinblick auf Frau Suder müssen bei ihr zu dem Schluss führen, dass es sich bei der Formulierung „die abschließende Bewertung der Angaben des Hans-Joachim Klein (müsse) der etwaig durchzuführenden Hauptverhandlung vorbehalten bleiben“ nur um einen floskelhaften Vorbehalt handelt. Sie muss vielmehr besorgen, dass sich die abgelehnten Richter schon ein festes Bild von der Glaubhaftigkeit und Aussagefähigkeit des Zeugen Klein gemacht haben.
Bei der Beurteilung, ob ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen ist, kommt es darauf an, ob ein „vernünftiger Angeklagter“ Grund für die Annahme hat, dass die abgelehnten Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnehmen, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann ( BVerfGE 32, 288 ff).
Legt man diese Vorstellung von der Unparteilichkeit des Richters zugrunde, dann hat sich in dem Beschluss nicht nur eine innere Haltung ausgedrückt, die die Unvoreingenommenheit stört. Vielmehr ist diese Haltung massiv nach außen getreten, hat ihre Manifestation in einem Haftfortdauerbeschluss gefunden und bezieht sich auf einen Sachverhalt, der, wenn er nachgewiesen würde, die empfindlichste Strafe nach sich ziehen könnte.
Von daher erscheint es nachvollziehbar, dass Frau Suder nicht nur die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter hegt, sondern von dem Verlust der Unparteilichkeit ausgehen muss.
Glaubhaftmachung: dienstliche Erklärung der abgelehnten Richter
Beiziehung der Akten 5/22 Ks 6150 Js 25777/94 (13/11)
Anwaltliche Versicherung des Unterzeichners
Es wird gebeten, die dienstlichen Erklärungen und die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vor einer Entscheidung zur Kenntnis zu bringen, sowie die zur Entscheidung berufenen Gerichtspersonen namhaft zu machen.
Hartmann
Rechtsanwalt