Frankfurter Rundschau, 11.11.2011
Graue Zellen.
35 Jahre nach der Tat wird gegen zwei mutmaßliche Terroristen Anklage erhoben
Von Andreas Förster
Im Verfahren gegen zwei deutsche Rentner, die vor 35 Jahren der linksterroristischen Gruppe „Revolutionäre Zellen“ (RZ) angehört haben sollen, hat die Frankfurter Staatsanwaltschaft jetzt Anklage erhoben. Der 78-jährigen Sonja Suder und ihrem 70-jährigen Lebensgefährten Christian Gauger werfen die Ermittler Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Herbeiführung von zwei Sprengstoffexplosionen und versuchte schwere Brandstiftung vor.
Im Fall von Suder kommen noch Mittäterschaft bei dreifachem Mord, versuchtem Mord und Geiselnahme hinzu. Sie soll logistische Hilfe beim Überfall einer vom damaligen Topterroristen Carlos geführten Gruppe auf die Opec-Konferenz in Wien im Dezember 1975 geleistet haben. Die Ankläger stützen sich hierbei auf die Aussage des früheren RZ-Aktivisten Hans-Joachim Klein. Er gab nach seiner Festnahme 1998 an, Suder habe seinerzeit vor dem Anschlag Waffen und Sprengstoff nach Wien geschafft. Die Waffen seien bei dem Überfall aber nicht benutzt worden, weil die Carlos-Gruppe libysche Waffen mitgebracht habe. Kleins Aussage ist juristisch allerdings umstritten. So stellte das Gericht schon im Prozess gegen ihn im Jahre 2001 fest, dass die Angaben des Angeklagten zum Opec-Überfall unglaubwürdig seien.
Auch der Vorwurf, die beiden Rentner seien 1977 und 1978 an drei Anschlägen in Deutschland beteiligt gewesen, die lediglich Sachschäden verursacht hatten, steht auf wackligen Beinen. Der einzige Belastungszeuge, ein ehemaliger RZ-Aktivist, war 1978 bei einer Bombenexplosion schwer verletzt worden und trug dabei auch Hirnschäden davon. Ermittler hatten ihn damals auf dem Krankenbett und ohne Beisein eines Anwalts vernommen. Später widerrief er seine Aussage.
Gauger und Suder hatten sich Ende August 1978 aus Frankfurt am Main abgesetzt und waren mit falschen Pässen in Frankreich untergetaucht. Erst im Januar 2000 kamen ihnen die Behörden auf die Spur, die Polizei nahm sie in Paris fest. Ausgeliefert wurden sie damals aber nicht, weil ein Gericht die Tatvorwürfe als nach französischem Recht verjährt ansah. Gauger und Suder zogen nach Paris, in eine kleine Wohnung im Vorort Saint Denis, und erhielten eine deutsche Rente.
2007 erließ die Frankfurter Staatsanwaltschaft einen europäischen Haftbefehl, der nach EU-Recht eine bedingungslose Auslieferung von Staatsbürgern an ihr Heimatland vorschreibt. Mitte September dieses Jahres wurden die Rentner von Paris an Deutschland ausgeliefert. Seitdem sitzt Suder wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Der schwerkranke Gauger, der nach einem Herzstillstand vor 15 Jahren sein Gedächtnis weitestgehend verloren hat, wurde unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt.