Nach 32 Jahren Flucht droht Auslieferung
Mutmaßliche Terroristen leben seit 1978 in Frankreich
Andreas Förster
Berlin Im August 1978 flüchteten Sonja Suder und Christian Gauger aus Frankfurt am Main nach Frankreich. Die deutschen Behörden fahnden seitdem nach ihnen, weil sie als mutmaßliche Mitglieder der linksterroristischen „Revolutionären Zellen“ (RZ) an drei Anschlägen beteiligt gewesen sein sollen. Jetzt, nach 32 Jahren, könnte diese Flucht zu Ende gehen. In Paris berät der Conseil d’Etat seit Freitag über die Auslieferung der beiden nach Deutschland.
Grundlage ist ein europäischer Haftbefehl, den die Frankfurter Staatsanwaltschaft 2007 gegen die heute 77-jährige Suder und den 68-jährigen Gauger erließ. Dieses Dokument verpflichtet EU-Staaten zur Übergabe Verdächtiger an deren Heimatländer. Im Sommer 2009 bestätigte das Pariser Appellationsgericht in letzter Instanz die Auslieferung der Ex-Revolutionäre an Deutschland. Kurz darauf unterschrieb Frankreichs Premier Francois Fillon einen entsprechenden Beschluss. Den kann jetzt nur noch der Conseil d’Etat kippen, der als letzte Instanz Einsprüche gegen Regierungsentscheidungen prüft. Dass das Gremium die Auslieferungsanweisung aufhebt, ist aber eher unwahrscheinlich.
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft legt Suder und Gauger die Beteiligung an drei RZ-Anschlägen zur Last, die Sachschäden verursachten: Am 22. August 1977 explodierte ein Sprengsatz an einem Gebäude des Nürnberger Industrieunternehmens MAN, das damals Verdichter für eine Urananreicherungsanlage in den Apartheid-Staat Südafrika lieferte. Acht Tage später sollte eine Bombe bei einer Firma in Frankenthal hochgehen, die Pumpen für Kernkraftwerke herstellte. Der Anschlag misslang, weil der Zünder nicht funktionierte. Am 18. Mai 1978 schließlich beschädigt ein Feuer das wertvolle Parkett im Königssaal des Heidelberger Schlosses. Sonja Suder soll darüber hinaus an der logistischen Vorbereitung des Überfalls auf die Opec-Ministerkonferenz in Wien 1975 mitgewirkt haben.
Die Vorwürfe der Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen beide beruhen auf den Aussagen dreier Zeugen. Deren Glaubwürdigkeit ist umstritten: Einer von ihnen widerrief seine Aussage, die Angaben eines zweiten Zeugen stufte ein Gericht bereits als unglaubwürdig ein. Dennoch wird es zu einem Prozess in Frankfurt kommen, sollten Suder und Gauger ausgeliefert werden.
Rente aus Deutschland
Nach ihrer Flucht aus Deutschland 1978 waren die beiden mit falschen Pässen in Frankreich untergetaucht. Sie brachen damals alle Kontakte in die Heimat ab und schlugen sich in der Nähe von Lille als Flohmarkthändler durch. Erst im Januar 2000 kamen die Behörden ihnen auf die Spur. Die Polizei nahm sie in Paris fest und ließ sie nach ein paar Monaten wieder laufen, da ein Gericht die deutschen Tatvorwürfe als nach französischem Recht verjährt ansah. Erst durch den europäischen Haftbefehl von 2007 wurde nun eine Auslieferung möglich.
Suder und Gauger beziehen inzwischen Rente aus Deutschland. Ihre vielleicht bevorstehende Auslieferung nach Frankfurt nehmen sie gelassen. In ihrer winzigen Zwei-Zimmer-Wohnung im Pariser Vorort Saint Denis, wo sie seit 2001 leben, stehen noch alle Bücher im Regal.,“Wir packen nicht zusammen, wir leben weiter so wie bisher“, sagt Sonja Suder. „Wenn wir weg müssen, werden sich Freunde um die Wohnung kümmern.“
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2010/1023/politik/0055/index.html