Zum erneuten Versuch des justiziellen Missbrauchs eines schwerbehinderten und beschädigten Menschen
Stellungnahme von Sibylle
Vor 30 Jahren wurde ich vom Frankfurter Oberlandesgericht allein aufgrund von Aussagen meines damaligen Verlobten Hermann Feiling verurteilt, die nicht nur ich damals für nicht verwertbar hielt.
Hermann war im Juni 78 bei einer Explosion in seiner Wohnung schwer verletzt worden, nachdem ein Sprengsatz für das Argentinische Konsulat in München – es war 1978 und Fußballweltmeisterschaft in der damaligen Diktatur Argentinien – vorzeitig explodiert war. Keine 24 Stunden, nachdem er in einer Operation beide Augen verloren hatte und die Beine bis kurz unter dem Becken amputiert worden waren, begannen die Vernehmungen durch Staatsanwaltschaft und Polizei. Das ging so weiter bis in den Oktober 1978 hinein, wofür man Hermann noch in einer Polizeikaserne (!) „unterbrachte“ – alles ganz ohne Haftbefehl.
In einem Artikel im „Spiegel“ hieß es dazu am 24.11.80: „Mit welchen Mitteln Kriminalbeamte und Staatsanwälte die Anklagebasis erzwungen haben, dass und warum der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts überhaupt verhandelt, markiert einen Tiefpunkt bundesdeutscher Rechtspflege.“
Es gab viele damals, die derselben Auffassung waren und wir haben während des Prozesses 1980-1982 große Solidarität erfahren.
Nichtsdestotrotz wurde ich aufgrund dieser Aussagen verurteilt. Über dreißig Jahre lang lebe ich nun mit Hermann und meinem jetzigen Mann und meiner Familie in Wohngemeinschaft und es gelang uns, das Leben wieder in ruhigere Bahnen zu kriegen und zu stabilisieren, obwohl für Hermann zu der Bürde des Verlusts des Augenlichts und der Beine noch die Gefährdung durch schwerste epileptische Anfälle kommt.
Diese immer lauernde Anfallsgefahr war auch der Grund dafür, 30 Jahre lang nicht mit ihm über seine Vernehmungen und Aussagen im Jahr 1978 zu sprechen. Ich habe das sein lassen, damit keine Gesundheitsgefährdung entsteht, da ich Anfälle bei ihm erlebt habe, die so schwer waren und in Serie kamen, dass sie unmittelbar lebensbedrohlich waren.
Mir wird jetzt in dem laufenden Prozess als Zeugin das Recht zu schweigen nicht zugestanden. Wenn ich das als juristischer Laie richtig verstanden habe, dann soll eine eventuelle Nichtverwertbarkeit von Hermanns Aussagen nur ein Verfahrensfehler des früheren Prozesses gewesen sein, der mit meiner heutigen Aussagepflicht nichts zu tun habe. Das verstehe ich nicht. Dieser mögliche Verfahrensfehler war der Dreh- und Angelpunkt des Urteils gegen mich. Und mehr noch: Es ging um eine schwere Menschenrechtsverletzung, die heute einen Gang zum Europäischen Gerichtshof nahelegen würde.
Es war nicht meine Entscheidung und schon gar nicht die von Hermann, die Vorgänge von vor 34 Jahren wieder hervorzuholen. Aber wenn das Frankfurter Landgericht es jetzt so entschieden hat, dann muss auch und vor allem der Umgang von Polizei und Justiz mit Hermann im Jahre 1978 Gegenstand des gegenwärtigen Prozesses sein. Dies ist der Kern meiner „Gesinnung“ – die Staatsanwaltschaft bezeichnete mich als „Gesinnungstäterin“ – und meiner Haltung zu diesem Prozess.
Meine Entscheidung zu schweigen, entspringt nicht Lust und Laune, wie die Vorsitzende Richterin mir vorhielt. Ich habe sie mir reiflich überlegt, insbesondere auch, weil die schwerwiegenden Konsequenzen nicht nur mich betreffen, sondern natürlich meine Familie und die Wohngemeinschaft mit Hermann mit. Und darüber entscheidet das Gericht – und nicht ich.
Ich habe für mich entschieden, in diesem Prozess keine weiteren Aussagen zu machen.
Sibylle S.